Haute Couture am Schanzentisch

NORDIC SKIING - FIS WC Lahti 2017
NORDIC SKIING - FIS WC Lahti 2017(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Ch. Kelemen)
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Nordische WM. Anzüge aus Laminatstoff küren Skisprungsieger. Optimal geschnitten, individuell genäht, mit drei Zentimeter Spielraum. Mathias Hafele, 34, ist der Mann mit der ÖSV-Nähmaschine.

Es ist eine der mächtigsten Schanzenanlagen im Weltcup, und auch bei der Nordischen WM in Lahti ist die Salpausselkä-Anlage das Erkennungsmerkmal. Drei Schanzen thronen erhaben auf dem Hügel, und der Ausblick von ganz oben führt einem schnell vor Augen, wie klein denn vieles im Leben wirklich ist. Und, wer einmal oben steht, sitzt oder abspringen will, bemerkt auch sofort die eigentliche Tücke dieses Areals: Nirgends bläst einem der Wind schärfer und kälter um die Ohren als hier.

Mit dem Springen von der Kleinschanze (16.30 Uhr, ORF eins) heben die Adler erstmals bei der WM ab. Österreich wird heute von Stefan Kraft, Michael Hayböck, Manuel Fettner und Gregor Schlierenzauer vertreten, der auch in der Qualifikation mit 92,5 Metern erneut unterstrich, dass er nach seinem Sturz in Oberstdorf wieder fit und die Entscheidung von Cheftrainer Heinz Kuttin, ihn für die WM und diesen Bewerb zu nominieren, richtig ist.

Damit der Medaillentraum verwirklicht wird, ist aber auch das Geschick eines anderen gefragt. Im Skispringen krönt letztendlich auch der Schneider den neuen Weltmeister, im ÖSV-Team ist das Mathias Hafele.

Nadel, Zwirn, Schere, Kleber

Der 34-jährige, ehemalige Skispringer blüht in seiner Rolle als Servicemann auf. Er kennt alle Tricks, die man bei der Kontrolle beherrschen muss. Er weiß die Bedürfnisse seiner Klientel und ist auch für Notfälle gerüstet. Sitzt der Schritt nicht richtig, ist der Anzug gerissen, der Mann mit der Nähmaschine ist immer einsatzbereit. Mit Nadel, Zwirn oder Schere könne er gut umgehen, dass seine Mama ihm gezeigt habe, wie es denn richtig funktioniert, dieses Detail verhehlte Hafele nicht. „Es ist alles unglaubliches handwerkliches Geschick. Du musst schon brutal gut nähen können.“

Skispringen ist nicht nur ein Spiel mit Physik, Anlauf und Geschwindigkeit, sondern ein Wetteifern im Materialsektor. Ob krummer Stab der Bindung, ein Schnürchen als Bindungsband, ein Schalenschuh oder eben ein großer Anzug: Kleinigkeiten machen den Unterschied aus. „Der Anzug ist das tragende Element“, sagt Hafele. Die hohe Kunst jedoch ist, nicht nur den richtigen zu haben, sondern ihn auch durch die Kontrolle zu bringen, „und da zeige ich den Springern, wie sie dastehen müssen“. Das werde geübt, mehrmals. Also tunlichst nicht schlampig oder gar bucklig, sondern gerade, „möglichst groß“, die Beine etwas gespreizt. Es gebe auch kaum mehr Spielraum, FIS-Kontrolleure messen beim Ablauf oder erneut nach dem Sprung nach. Hafele aber beteuert, ohne all seine Geheimnisse preiszugeben, dass es „doch Raum“ gebe. Den Athleten bleibt ein Freiraum von drei Zentimetern, die der fünf Schichten umfassende Laminatstoff der Hersteller Meininger und Schöller haben dürfe.

Ab 420 Euro pro Stück

Im Schnitt, der Naht und beim Material des Anzuges findet Hafele die Meter, die Stefan Kraft zum Sieg tragen können. Viermal hat der Salzburger in dieser Saison bereits gewonnen, mit welchem Kleidungsstück er heute bei der WM springt, könne Hafele nur bedingt beeinflussen. Es sei „Bauchgefühl“, abhängig davon, in welchem er sich wohler fühle. Es sei sozusagen wie im Geschäft, wenn man sich einen Frack kauft. Da passe oder gefalle auch nicht jeder auf Anhieb. Zudem, jedes Stück ist Maßanfertigung, und das habe seinen stolzen Preis. „Zwischen 420 und 450 Euro kostet einer“, sagt Hafele. Der Verschleiß ist enorm, pro Springer sind 20 bis 30 Anzüge in einer Saison zu schneidern.

Fließbandarbeit sei es dennoch keine, sagt der Vorarlberger. Außerdem sehe er auch nach jedem Bewerb, was seine Kunst bewirkt hat. Es ist tatsächlich Haute Couture am Schanzentisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2017)

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