Winterspiele 2010: Kanadas Ureinwohner boykottieren Olympia

(c) Reuters (Andy Clark)
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Für die indigenen Völker bedeuten die Spiele in Vancouver auch Umsiedlung und Obdachlosigkeit. Mit Olympia in British Columbia werden Urvölker kulturell bedroht, sagen Führer der Stämme.

Vancouver.„Einer der bedeutendsten Faktoren ist die Miteinbeziehung der First Nations in Planung und Durchführung der Spiele.“ Die Erklärung, die das Internationale Olympische Komitee 2003 für seine Entscheidung für Vancouver als Austragungsort der Winterspiele 2010 gab, war vielen ein Anlass zur Freude. Im Westen Kanadas, wo damit erstmals indigene Völker Mitveranstalter von Olympia sind, wird Geschichte geschrieben. Doch knapp ein Monat vor Beginn der Spiele sieht die Welt ganz anders aus. Viele „Indians“, wie man die Ureinwohner in Kanada häufig nennt, machen gegen die Spiele mobil. In der Provinz British Columbia, in der Vancouver liegt, fühlt sich ein großer Teil der Ureinwohner hintergangen.

Mit Olympia in British Columbia werden Urvölker kulturell bedroht, sagen Führer der indigenen Stämme, von denen es allein im Westen Kanadas rund 200 gibt. Nicht, dass man es nicht gewohnt sei in einem Land, in dem indigene Sprachen und politische Interessenvertretungen der Ureinwohner lange verboten waren, sagt Gordon Hill vom Stamm Kwakwakawakw von der nördlichen Pazifikküste. Hill ist einer der Vorsitzenden des Vereins „No 2010“, der seit drei Jahren gegen die Austragung der Spiele kämpft.

Mehrmals wurden die Countdown-Uhren für 2010 in der kanadischen Hauptstadt Ottawa und in Vancouver symbolisch unter Beschlag genommen. An der Sicherheit der Spiele begannen Experten öffentlich zu zweifeln, als in einer Filiale von General-Motors-Tochter Chevrolet, ein Sponsor der Spiele, im Juni 2008 in Toronto 13 Autos brannten. Filialen der Royal Bank of Canada, ein weiterer Sponsor von Olympia, wurden ebenfalls attackiert. Meist waren es eingeworfene Fenster.

Hills hält lautstarken und physischen Widerstand für die einzige Möglichkeit, die den „Indians“ bleibt, um die eigenen Interessen zu vertreten. „Sonst werden wir nicht gehört und indigene Identitäten werden weiter ausgerottet.“

Nicht alle Ureinwohner teilen seine Meinung. Die vier Völker Lilwat, Musqueam, Squamish und Tsleil-Waututh, die sich „Four Host First Nations“ nennen, sind Teil des Organisationskomitees. Im Gegensatz zu Hill sehen sie ihre Kultur nicht gefährdet durch Tourismusboom, naturfeindliche Infrastrukturen und Benachteiligungen unterer Einkommensschichten. Während Olympia werden diese vier Stämme ihre Kulturen präsentieren.

Auf der offiziellen Homepage der „Four Host First Nations“ lobt man die Zusammenarbeit zwischen den indigenen Völkern und dem Nationalen Olympischen Komitee. „Der Begriff Nachhaltigkeit wird dort verwendet, gleichzeitig werden die Umsiedlung von tausenden Personen und der Anstieg der Obdachlosigkeit in Vancouver um weit über 300 Prozent seit 2003 ignoriert“, kritisiert Hill.

All das wundert ihn nicht. Bis auf die Lilwat gehöre jeder Stamm der „Four Host First Nations“ zu den reichsten Völkern unter den „Indians“ Kanadas. Von den sozialen, ökologischen und ökonomischen Benachteiligungen seien vor allem die restlichen indigenen Stämme betroffen.

Olympia ist wieder einmal mehr als ein Sportereignis. Verhindern können Gruppierungen wie „No 2010“ die Winterspiele nicht, aber Kanada ist zumindest mit den Problemen vieler indigener Völker konfrontiert. Die Bühne, die Olympia bietet, ist groß.

Dass der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Jacques Rogge, auf dieser mehrmals betont hat, das IOC habe immer darauf bestanden, dass Ureinwohner respektiert und beteiligt werden, ist für die „Four Host First Nations“ ein progressiver Schritt. Für Gegner der Spiele wie Hill ist es Heuchelei.

Es ist diese Diskrepanz, warum manche Kanadier heute, knapp einen Monat vor Olympia, zögern, bei Mc Donalds zu essen – ein weiterer Sponsor von Vancouver 2010.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2010)

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