Ruhpolding: "Das Kitzbühel des Biathlonsports"

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Ruhpolding Kitzbuehel Biathlonsports(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Hans Osterauer)
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Die Biathlon-WM ist mittlerweile eines der größten Sportereignisse Europas. Während der zwölf Tage herrscht in der bayerischen 6300-Einwohner-Gemeinde Ruhpolding der Ausnahmezustand.

Dafür ist kaum noch Zeit. Aber glücklicherweise bin ich schon in einem Alter, in dem man nicht mehr so viel Schlaf braucht.“ Martin Haßlberger ist merklich amüsiert über die Sorge, die „Die Presse am Sonntag“ seinem Privatleben entgegenbringt. Der 63-Jährige ist Vizepräsident des Organisationskomitees der heurigen Biathlon-Weltmeisterschaft in Ruhpolding – oder „Ruapading“, wie er die wenige Kilometer von der Salzburger Grenze entfernte Gemeinde im oberbayerischen Dialekt nennt. Haßlbergers Tage sind derzeit lang: Um sieben Uhr morgens kommt das erste TV-Team vorbei. Frühstücksfernsehen. Für das Frühstück bleibt dem 63-Jährigen wenig Zeit: Sitzungen und Pressekonferenzen wechseln sich ab, bis erst weit nach Mitternacht der Feierabend anbricht.

Für Haßlberger, der gleichzeitig Tourismusdirektor der Gemeinde ist, ist das aber nichts Neues. Der Ausnahmezustand wird zur Normalität, wenn der Biathlon nach Ruhpolding kommt. Vier Mal war das 6300-Einwohner-Dorf schon WM-Gastgeber. Österreichs Christoph Sumann kündigte schon im Vorfeld an, die WM 2012 werde „das Größte, was der Sport bisher gesehen hat“. Insgesamt werden über 240.000 Zuschauer an den zwölf Tagen erwartet, die Karten für die Wochenenden waren schon lange vor der Eröffnung ausverkauft, nur Streckenkarten für die Wochentage waren noch zu haben.


Eineinhalb Tonnen Leberkäse. Da jubelt natürlich auch die Tourismusbranche, im Ort sind nur noch wenige Zimmer frei. Und die Biathlon-Fans wollen auch verköstigt werden: 250 ehrenamtliche Helfer werden an 30 Verkaufsständen 8000LiterGlühwein, 30.000 Liter Bier, 20.000 Liter alkoholfreie Getränke, 1500 Kilogramm Leberkäse, 2000 Kilogramm Würste, 50.000 Brötchen und Brezeln, 500 Kilogramm Raclettekäse, 300KilogrammKaffee, 5000 Stück Kuchen und 200 Liter Spirituosen unter die Leute bringen.

„Das ist das Kitzbühel des Biathlonsports, das muss man gesehen haben“, meint Österreichs Biathlonchef Markus Gandler im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“: „Die Leute hier leben den Sport. Dazu kommt dieses besondere Flair und die vielen Zuschauer in diesem kleinen Stadion, was für eine großartige Stimmung sorgt. Zudem sind die Fans an der Strecke auch echte Experten, die teilweise ihr gesamtes Urlaubsgeld für diese paar Tage ausgeben“, schwärmt der Tiroler. Kein Wunder – nirgends kommt man den Athleten so nahe wie in Ruhpolding. Nur wenige Meter trennen die Schützen von den Zuschauern.

Biathlon boomt in Deutschland aber nicht nur an der Strecke. Für die TV-Sender ARD und ZDF, die jeden WM-Bewerb live übertragen werden, ist schon der Weltcup ein Riesengeschäft. Regelmäßig fahren die Öffentlich-Rechtlichen mit Biathlon Marktanteile von über 20Prozent ein, bei Damen-Bewerben zur Mittagszeit gibt es sogar an die 40 Prozent. „Das ist einfach ein höchst medientauglicher Sport mit einer ganz eigenen Dramatik“, nennt Haßlberger die Gründe für die hohen Einschaltquoten. 39 Kameras an der Strecke und am Schießstand werden jeden Meter und jeden Schuss einfangen. Weltweit sollen dann mehr als 100MillionenZuschauer vor den Fernsehern dabei sein.

Rekordquoten konnten die deutschen Sender vor zehn Jahren auch mit Skispringen erzielen. Die Höhenflüge von Martin Schmitt und Sven Hannawald fesselten die Zuschauer für ganze Nachmittage an das TV-Gerät. Heute ist es um die DSV-Stars und damit auch um die Sportart vergleichsweise ruhig geworden. Kein Wunder, dass eine Umfrage Anfang des Jahres für Nervosität sorgte. Bei dieser meinte ein Drittel der Befragten, Biathlon weniger intensiv verfolgen zu wollen, wenn Magdalena Neuner ihre Karriere beendet. Die 25-Jährige hat für das Ende der Saison 2011/12 ihren Rücktritt angekündigt. Die zweifache Olympiasiegerin und zehnfache Weltmeisterin aus Garmisch-Partenkirchen ist das wichtigste mediale Zugpferd und zudem eine höchst begehrte Werbefigur: Firmen vom Fußbodenhersteller bis hin zur Brauerei nutzen die Strahlkraft der „Biathlon-Königin“, 2010 posierte sie schon als Unterwäschemodell. Eine Studie über den Werbewert deutscher Prominenter setzte die Biathletin auf den vierten Platz. Formel-1-Doppelweltmeister Sebastian Vettel rangiert einen Platz dahinter. In Ruhpolding wollte sich Neuner mit der Maximalzahl von sechs Goldmedaillen von der WM-Bühne verabschieden, der Traum platzte aber schon am ersten Tag, als es in der Mixed-Staffel „nur“ Bronze gab.

Andere Dimensionen. Dass der deutsche Biathlon-Boom deswegen in Gefahr geraten könnte, ist dennoch unwahrscheinlich: „Das ist ja nichts Neues in Deutschland. Biathlon hat dort Tradition, und der Höhenflug wurde langfristig aufgebaut“, meint etwa Gandler: „Den Stellenwert sieht man ja schon daran, dass Deutschland als einziges Land zwei Weltcup-Orte stellt.“ Neben Ruhpolding gibt es mit dem thüringischen Oberhof ein zweites deutsches Biathlon-Zentrum. Dort wurde die WM 2004 ausgetragen, Ruhpolding war zuletzt 1996 an der Reihe. „Heuer sind es aber schon ganz andere Dimensionen“, meint Martin Haßlberger: „Vor allem, was den Medienandrang und die Sicherheitsvorkehrungen betrifft.“ Seine größten Wünsche für das zu dieser Zeit größte Sportereignis Mitteleuropas sind bescheiden: „Gute Wetterverhältnisse, und dass wir gut über die Runden kommen.“

Ganz unabhängig von sportlichen Erfolgen ist der kommerzielle Erfolg seiner Meinung aber nicht: „Es kommt auch immer darauf an, ob ein Land vorn mitmischen kann. Wir merken hier zum Beispiel schon, dass viel weniger Österreicher kommen.“


Schadensbegrenzung. Denn der ÖSV hat eine schwache Saison hinter sich. Für Österreichs Biathleten geht es daher auch um „Schadensbegrenzung“, wie es Gandler nennt. „Es hat einfach bei keinem richtig zusammengepasst, und dann haben wir zu zweifeln begonnen“, so Gandler, der dennoch von einer Medaille träumt: „Wir haben einiges aufzuholen und wiedergutzumachen. Wir haben ja schon bewiesen, dass wir es können.“ Kurz vor der WM zeigte die Formkurve bei Österreichs Biathleten immerhin nach oben. In Antholz konnte die Staffel Mitte Jänner den ersten Podestplatz der Saison einfahren. Bei der WM hätte es im Sprint beinahe schon geklappt, doch Daniel Mesotitsch verpasste am Samstag als Vierter um zehn Sekunden Bronze.

(c) Die Presse / GK

Nun gilt neben der Staffel vor allem Christoph Sumann als Medaillenhoffnung. 2011 hatte der Steirer im sibirischen Chanty-Mansijsk mit Bronze über die 20 Kilometer Österreichs einzige Medaille geholt. Auch der 36-Jährige hört zu Saisonende auf. Und könnte eine Lücke im österreichischen Biathlon-Team hinterlassen. „Ein guter Athlet geht immer ab“, meint Gandler: „Aber es ist auch eine Chance für die Jungen.“ Noch schmerzhafter für ihn ist aber, dass Österreich durch die schwachen Saisonergebnisse heuer in der kommenden Saison einen der sechs Startplätze verlieren wird. Für einen potenziellen österreichischen Biathlon-Boom ein Rückschlag: „Ruapading“ ist nicht überall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)

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