Ski-WM: Aus Hirschers Angst wird langsam ein wenig Zuneigung

ALPINE SKIING - FIS Ski WC Vail/ Beaver Creek 2015
ALPINE SKIING - FIS Ski WC Vail/ Beaver Creek 2015(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Christian Walgram)
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Marcel Hirscher hat sich den Traum von einer Goldmedaille in Beaver Creek schon erfüllt, weil er die Herausforderung Abfahrt gemeistert hat.

Beaver Creek/Wien. Es kommt nicht oft vor, dass sich Marcel Hirscher etwas vornimmt – und dann nicht erfolgreich ist. Der 25-jährige Salzburger kann sich selbst am besten einschätzen, er ist seit Jahren der beste Skifahrer, das beweisen die drei großen Kristallkugeln, die er in den vergangenen Wintern gewonnen hat. Der Tüftler, was Material und Technik betrifft, ist vor allem Realist. Darum hat er es in der Vergangenheit weitgehend gemieden, seine Kräfte auch in die schnellen Disziplinen zu investieren. Er hat es immer nur dann gemacht, wenn es unbedingt notwendig war. Wie beim Weltcupfinale in Schladming, als er fast aus dem Nichts einen Super-G aus den Kniegelenken beutelte, um den Gesamtweltcupsieg sicherzustellen.

Vor der Weltmeisterschaft in Vail/BeaverCreek war Hirscher skeptisch, welche und wie viele Bewerbe er seinem Körper überhaupt zumuten kann. Jetzt sollen es vier werden. Der Aufwand ist enorm, der Salzburger musste sich auf die Abfahrt wagen, um ausloten zu können, ob ein Antreten in der Kombination überhaupt sinnvoll ist. Die Kombi, die hatte er schon länger im Hinterkopf. Aber immer wieder hatten ihn Zweifel gepackt. Trainieren und dann nicht starten? Nicht mit einem Marcel Hirscher.

„Dachte, ich bin chancenlos“

Die Bekanntschaft mit der WM-Piste Birds of Prey, das war keine Liebe auf den ersten Blick. Die Rückstände im Training waren enorm, der Techniker musste erst zulassen, die neue Herausforderung auch wirklich anzunehmen. „Ich hatte mit der Angst und dem Set-up zu kämpfen“, gesteht Hirscher. „Ich habe mir eigentlich gedacht: Ich habe hier keine Chance. Ich war eigentlich ein komplett chancenloser Typ.“

In der Kombinationsabfahrt aber konnte sich Marcel Hirscher überwinden. Er sprang, er machte Tempo, er holte das Letzte aus sich heraus. Auch dank perfekten Materials (Ski, Schuhe). Auf einmal wurden aus einem Rückstand von knapp fünf Sekunden weitaus weniger. Wenig genug, um sich im Slalom auf die eigenen Stärken verlassen zu dürfen. „Die Vorzeichen waren nicht die besten“, sagt Hirscher. „Mit perfektem Teamwork haben wir es aber geschafft, dass ich da in der Abfahrt möglichst schnell runterkomme.“

Die schnellen Disziplinen, sie könnten nun eine Liebe auf den zweiten Blick werden. „Mit Abfahrtsskiern den Berg hinunterzufahren, das ist einfach großartig.“ Abfahrt und/oder Super-G intensiver in sein Programm aufzunehmen sei aber eine schwierige Grundsatzentscheidung. „Das kann der Plan sein. Die Frage ist, ob darunter meine Kerndisziplinen Riesentorlauf und Slalom leiden würden. Das ist eine persönliche Entscheidung, die ich treffen muss.“

Anfang Dezember war Marcel Hirscher in Beaver Creek schon beim Abfahrtstraining mit dabei. Damals lag er 7,61 Sekunden hinter dem Schnellsten. Im Super-G schied er aus. Das Projekt Kombination schien zu wackeln. „Das alles hat uns viele Kopfschmerzen bereitet“, erzählt sein Trainer, Michael Pircher. „Aber im Endeffekt haben wir alles richtig gemacht. Und sind glücklich, dass wir uns für diesen Weg entschieden haben.“

Die Steigerung von Hirscher in der Abfahrt ist sensationell. „Wahnsinn“, sagt Trainer Pircher. „Die Leistung war zu zwei Dritteln genial.“ Hätte aber alles nichts genützt, wäre der schwer gestürzte Tscheche Ondřej Bank im Klassement geblieben. Das Sturzopfer, das noch glimpflich davongekommen ist, wurde disqualifiziert. So wurde aus der Startnummer 31 die Eins. Mit der hinteren Startnummer aber wäre auch Marcel Hirscher chancenlos und eine Medaille außer Reichweite gewesen. Der Salzburger weiß das. „Man braucht immer Glück, um ein Rennen zu gewinnen. Und wenn du eine Chance bekommst, dann musst du sie erst einmal auch nutzen. Und ich habe sie genutzt.“

Die Weltmeisterschaft könnte nun zu Hirscher-Festspielen werden. Der 25-Jährige selbst aber bremst die Euphorie und übertriebene Erwartungen. „Ich habe vor diesen Titelkämpfen gesagt: ,Ich möchte eine Medaille. Egal in welcher Farbe.‘ Und jetzt bin ich Kombi-Weltmeister. Das hört sich für mich noch völlig fremd an. Aber irgendwann werde ich mich schon damit identifizieren können. Als ich 16 war, hätte ich mir das alles nicht einmal im Traum vorstellen können.“

Hirscher-Trainer Michael Pirker, der über ein bemerkenswert sonniges Gemüt verfügt, ist vorerst einmal restlos zufrieden. „Diese erste Goldene gleich im ersten Bewerb ist natürlich für uns alle befreiend. Der Druck lässt brutal nach. Das heißt aber nicht, dass wir zurückstecken. Wir werden konzentriert weiterarbeiten, es warten noch harte Aufgaben.“

Was den Riesentorlauf am Freitag betrifft, sind Hirscher und Benjamin Raich gesetzt. Matthias Mayer, Philipp Schörghofer und Christoph Nösig müssen sich einer internen Qualifikation am Mittwoch stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2015)

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