Nordische WM: Kombinierer Stecher gewinnt Silber

Mario Stecher
Mario StecherAPA-FOTO: BARBARA GINDL
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Nur 0,2 Sekunden fehlten Kombinierer Mario Stecher auf Gold, doch auch an Silber hätte er nie gedacht. Vor sechs Wochen plagte den 35-jährigen Steirer, der seine 21. Saison bestreitet, noch ein Knorpelschaden im Knie.

„Gold? Bist du schon komplett wahnsinnig? Alle anderen haben doch trainiert, und sie waren im Gegensatz zu mir gesund. Und ich weiß doch gar nicht, ob mein Knie hält und wie sehr mir die Wettkampf-Belastungen zusetzen. Das ist doch pure Utopie!“ Kombinierer Mario Stecher war entrüstet, als er sich Mittwochabend mit der „Presse“ über mögliche WM-Ziele unterhalten hatte . . .

48 Stunden später lief der 35-jährige Steirer ein traumhaftes Rennen. Nach einem Sprung von der Normalschanze auf 106 Meter war er als Zweiter ins 10-Kilometer-Rennen gestartet und schnell war klar, dass er – entgegen aller Erwartungen – durchaus Kraft und Potenzial hat, eine Medaille, und ja, sogar Gold, bei der WM im Val di Fiemme gewinnen zu können. Der Vorsprung auf Verfolger wie Björn Kircheisen (GER) oder Jason Lamy Chappuis (FRA) war zwar sukzessive geschmolzen, doch damit hatte der ÖSV-Veteran, der seine 21. Saison bestreitet, gerechnet.

Stecher pokerte, er wartete wie immer auf den Zielsprint – das ist seine Spezialität. Und mit einem überaus gefinkelten Ausfallschritt sicherte er sich im Fotofinish die Silbermedaille. Auf Chappuis und das zuvor vollkommen unmöglich gehaltene Gold fehlten ihm nur 0,2 Sekunden. Er sagt: „Das ist so kitschig, soetwas habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Das ist ein Traum! Vor sechs Wochen bin ich noch mit einem kaputten Knie daheim gesessen. Und jetzt wäre ich fast Weltmeister geworden.“

Stecher gilt als der Dauerbrenner der Nordischen Kombination. Seit 1993 ist er im Weltcup unterwegs und seine 21. Saison sollte mit dieser WM einer der Höhepunkte in seiner Karriere werden. Mit dem Fleimstal hatte er obendrein noch eine offene Rechnung: „Bei der WM 2003 war ich nicht gut genug für die Mannschaft, ich war total außer Form und wurde von Günther Chromcek heimgeschickt“, erinnert sich Stecher. Damals gingen die Wogen hoch, der von Boulevard-Medien als „Super-Mario“ verehrte Sportler verstand die Welt nicht mehr. Die Staffel gewann Gold, und er musste „daheim verzweifelt“ zuschauen. Auch darum hat dieses WM-Silber nun für ihn so enorme Bedeutung. „Ich habe es allen – und mir selbst – wieder einmal so richtig gezeigt.“

Neun Knieoperationen

Der einstige Zorn ist nur noch eine von vielen Episoden, die Stecher schmunzeln lassen. In den vergangenen zwanzig Jahren hat er zu viel erlebt, um sich wegen einer Lappalie noch aus der Spur treiben zu lassen. Denn der Steirer kehrte bislang noch aus jedem Tief zurück. Den Begriff der Aufgabe lehne er weiterhin – selbst nach neun Knieoperationen – entschieden ab. Sein Vorbild, Klaus Sulzenbacher, hatte ihm bei seinem Weltcupdebüt eines auf den Weg mitgegeben: „Wenn du etwas erreichen willst, musst du alles dafür tun. Alles!“

An diese Worte musste sich der zweifache Familienvater auch bei jedem Kilometer des Rennens in Lago di Tesero erinnert haben. Gedanken an seine zwölf Weltcupsiege liefen bei jedem Stockeinsatz in seinem Hinterkopf ab, allen voran der Triumph auf dem Osloer Holmenkollen 1994. Auch kamen Emotionen bei Anstiegen auf, weil sie für ihn denen bei den Olympiasiegen in Turin und Vancouver glichen, von den zuvor fünf gewonnenen Medaillen bei acht Weltmeisterschaften seit Thunder Bay 1995 ganz zu schweigen. Auf der vierten und letzten zweieinhalb Kilometer langen Runde hatte es oft den Anschein, als könne er seinen Gegnern tatsächlich die Stirn bieten. Sie ließen ihn das Tempo machen, und begingen damit den kapitalen Fehler: der „Oldie“ kennt alle Tricks und Typen dieser Branche. Ihm macht keiner etwas vor, er teile sich seine Kräfte gut ein. Weltcup-Leader Eric Frenzl (GER) musste für diesen Patzer mit dem bitteren vierten Platz bezahlen.

Ausgleichende Gerechtigkeit

Obwohl Österreich weiterhin auf den ersten Kombinations-Weltmeister warten muss, ist Stecher bereits der Gewinner dieser WM. Silber, wie zuletzt 1999 in der Ramsau, nimmt ihm keiner mehr weg. Es ist der Lohn für alle Entbehrungen, Verletzungen und Enttäuschungen der vergangenen 20 Jahre. Der Steirer sprach von einem „lässigen Ergebnis“, zu dem ihm aber auch enormes Glück verholfen habe. Bei seinem Sprung herrschten perfekte (Auf-)Windverhältnisse, alle anderen wurde hingegen von mysteriöser Windstille geplagt. Auch das müsse, bei all dem Jubel, gesagt sein.

Für Stecher ist es aber auch ausgleichende Gerechtigkeit. Er bezahlt einen hohen Preis für das Kombinierer-Dasein. Vollkommen beschwerdefrei wird er noch länger nicht sein, vielleicht erst nach seinem Karriereende bei den Spielen in Sotschi 2014. Er kann nicht normal laufen – ohne Ski ist der Schmerz dann doch zu groß.

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