Die Nerds erobern die Pampa

Schnelles Internet kann entlegene Orte vor dem Aussterben bewahren.
Schnelles Internet kann entlegene Orte vor dem Aussterben bewahren.Imago
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Es muss nicht immer Berlin sein. Das junge Internet-Start-up Loxone bleibt lieber in Kollerschlag im Mühlviertel. Wichtig ist nur ein Standortvorteil: schneller Internetzugang via Glasfaser. Alles andere spielt in der virtuellen Welt kaum eine Rolle.

Der Kukuruz passt einfach nicht ins Bild. Denn innen drin wirkt Loxone wie eines jener coolen Internet-Start-ups, die man in pulsierenden Metropolen findet: Junge Leute, alle per du, bunte Flipcharts und Pinnwände, schick designte Büromöbel, vielleicht ein wenig edler und durchdachter als sonst. Aber im Prinzip: oft gesehen, oft erzählt. Wenn da nicht dieser irritierende Ausblick wäre, auf Kuhwiesen und Maisfelder. Bis an den Horizont sanfte Hügel, Bauernhäuser, kleine Weiler. Nein, diese Kulisse zaubert keine im Haus programmierte künstliche Realität daher, die ist echt: Der Spezialist für Smart-Home-Lösungen liegt im hintersten Mühlviertel. Am Rande von Kollerschlag, einem Dorf an der Grenze zu Bayern, das im Kern nur 700 Einwohner zählt. Ein Kaff also, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen – aber auch, seit einigen Jahren, hoch qualifizierte Softwareentwickler guten Morgen.

Die Loxone-Gründer haben damit eine Vision im Kleinen wahr gemacht, die in den Köpfen von Zukunftsforschern schon seit geraumer Zeit herumspukt. Wie, so fragen sie sich, kann man entlegene Gegenden vor dem Aussterben bewahren? Industrie siedelt sich dort nicht an, die braucht Autobahnen und keine kurvigen Landesstraßen. Für Dienstleistungen ist der Kundenkreis zu klein, für Tourismus die Umgebung meist nicht spektakulär genug. Aber alles, was mit dem Internet zu tun hat, ist geografisch nicht gebunden. Es spielt sich ohnehin im virtuellen Raum ab. Wenn die Welt ein Dorf ist, dann ist auch ein Dorf die ganze Welt. Das Einzige, was man an Infrastruktur braucht, sind Glasfaserkabel: „Sie sind unsere Lebensader“, bestätigt Ko-Chef Martin Öller. „Die exzellente Verbindung ist ein echtes Glück“. Wo es sie gibt, wird die Digitalisierung zur großen Chance für ländliche Räume – zumindest im Prinzip.

Alle Warnungen ignoriert. Denn die „Nerds“, so meint man, die zieht es nach Berlin, London oder Kalifornien. Wien ist ihnen schon zu klein, Linz erst recht. Kollerschlag? „Du bist ja wahnsinnig“, warnten Öller besorgte Freunde, als er 2009 die Firma gründete. Aber der IT-Unternehmer aus dem nahen Rohrbach ließ sich nicht entmutigen und trat mit seinem Kompagnon Thomas Moser den Gegenbeweis an: „In der Pampa statt in der Großstadt“, das kann funktionierten. Die beiden starten ganz klein, im alten, heute abgerissenen Postamt: „Es roch modrig, der Putz bröckelte von der Wand. Die ersten Bewerber hätten fast an der Schwelle kehrt gemacht“, schmunzelt Öller. Das Gute daran: Wer blieb, wollte wirklich. Heute lassen sich viele von „Glanz und Glimmer“ der neuen Zentrale blenden. Und vom Ruf: Loxone ist – mit 250 Mitarbeitern weltweit, davon 85 vor Ort – der wichtigste Arbeitgeber im Umkreis. Das Unternehmen macht 60 Mio. Euro Umsatz, strebt bald 200 Millionen und die globale Marktführerschaft an. An zu wenig Personal sollte es nicht scheitern: 1200 Bewerbungsschreiben trudeln pro Jahr ein.

Neustart am Land. Was sind das für Menschen, die hier arbeiten? Johannes Urlhardt hat die große Welt gesehen – und kann gern auf sie verzichten. Der 35-Jährige studierte in München, heuerte bei BMW an und arbeitete bei einem Technologieableger des Autobauers im Silicon Valley. Das Traumziel für jede Software-Karriere, oder? „Man stellt sich das nur aus der Ferne so toll vor“. Er wollte zurück: „Ich bin nicht der Großstadtmensch“. Auch störten ihn die starren Hierarchien mit ihren gefilterten Informationen. Ähnlich erging es Andre Burkart: Der Hesse hatte die Telefónica-Projekte in Dubai und München satt („hunderte Meetings, monatelang“), packte Frau und Kinder ein und startete ein neues, ländliches Leben. Vertriebsprofi Rüdiger Keinberger, seit März dritter Geschäftsführer, gab seinen Vorstandsposten beim Mannheimer Milliarden-Konzern Röchling auf, um zurück an seinen Wurzeln verlorene Lebensqualität zurückzugewinnen. Das Durchschnittsalter bei Loxone ist 29. Wo man hinhört, heißt es: Wir heiraten, wir bauen, wir kriegen ein Kind. Und wo hat es der Nachwuchs schöner als im Grünen?

Haubenkoch als Lockmittel. „Es gibt immer mehr, die gegen den Strom schwimmen und sich fürs Land entscheiden“, stellt Gründer Öller erleichtert fest. „Sie suchen die Ruhe, die Natur“. Er ortet einen „Trend zur Vereinfachung“, den er auch in seinen Produkten umsetzen will. Aber bekommt er die besten Köpfe? „Ich will nichts schönreden, natürlich ist das die Super-Challenge“. An gut ausgebildeten Talenten mangle es in Oberösterreich nicht: Es kommen Webentwickler von der HTL Neufelden, Absolventen der FH Hagenberg mit ihrem „exzellenten Ruf“, Mechatroniker aus Linz und Informatiker aus Passau. Aber für die Besten ist eine Boom-Stadt wie Berlin natürlich meist „attraktiver“, weshalb die Rekrutierung dort „leichter fällt“. Doch in solchen „Hotspots“, gibt Öller zu Bedenken, ist dafür die Fluktuation sehr hoch, was es für die Firmen unterm Strich „nicht einfacher macht“.

Freilich muss er als Arbeitgeber im Nirgendwo etwas Besonderes bieten. Zwar ist das Einstiegsgehalt niedriger als etwa in Linz, und „die Bedingungen härter – wie haben viel vor!“. Aber wer sich bewährt, dem zahlt der Chef bald freiwillig mehr: „Einige verdienen besser als in der Großstadt“. Zu Mittag gibt es frische Kost von einem Meisterkoch, der in Drei-Hauben-Restaurants gelernt hat – auch er ein Heimkehrer aus Überzeugung. Das kulinarische Angebot ist eine aus der Not geborene Tugend: Im Dorf gibt es kein richtiges Gasthaus mehr. Dafür stehen die Kollegen nach Feierabend am Rand der Felder zusammen und grillen. Und der Kukuruz gleich daneben? Der passt plötzlich bestens dazu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2017)

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