Bibliophilie: „Die Setzer sind verrückt geworden“

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Was hat das Buch, was das E-Book nicht hat? Individualität. Ein Interview mit Typograf Victor Malsy, der Österreichs „Schönste Bücher“ aussucht.

Das wiegt sieben Kilo und wird gedruckt, jedes Jahr! Das Telefonbuch wird es bald überhaupt nicht mehr geben“, glaubt Victor Malsy, spricht er von der Zukunft. „Bei bestimmten Büchern hat das keinen Sinn mehr: Das Kursbuch der Deutschen Bahn gab es seit 1845. Jetzt ist es 2008 zum letzten Mal erschienen.“ Solche Werke der reinen Zweckmäßigkeit standen beim „Schönsten Buch“ Österreichs freilich nicht zur Wahl – Malsy saß in der Jury des Hauptverbands des Buchhandels, der in Fragen gedruckter Ästhetik jährlich Staatspreise vergibt (Verleihung: 4. März).

Ob zweckmäßiges oder schönes Buch – hat der Druck Zukunft? „Ich glaube, dass künftige Generationen – ich erlebe es an meiner 14-jährigen Tochter – anders damit umgehen als wir oder ich, aufgrund meiner Geschichte, meiner Bibliophilie. Meine Tochter hat die in Grenzen auch, aber mit einem anderen Verhältnis zu Buch und E-Book“, sagt er zur „Presse“. „Gleichwohl glaube ich, dass das Buch genauso überleben wird wie TV, Radio, Kino: Das Kino war in den Sechzigern totgesagt, heute lebt es wieder.“ Allerdings: „Wenn es das E-Book von Amazon gibt, mit digitalen Versionen entsprechender Bücher, werde ich mir das auch zulegen.“

Retten könnte sich das Buch mit seiner „Persönlichkeit“, die z. B. durch Randnotizen entsteht. Auf diese Art individualisierte Werke sind aber auch digital möglich: E-Books wie Amazons „Kindle“ oder Sonys PRS 505 gewähren Anmerkungen des Lesers, wenn auch nicht handschriftliche. Nach Walter Benjamin allerdings wäre es die Aura des (Gebrauchs-)Kunstwerks Buch, die – nach der Massenproduktion im Druck – mit dem E-Book nun weiter verkümmert. Malsy: „Wenn Sie das Buch haben, ist es ein wahnsinniger Fundus, und man hat einen ganz anderen Zugang zum Text.“

Bei schlechter Typo schmerzen die Augen

Was stiftet denn – abgesehen vom Inhalt, der elektronisch leichter zu speichern, mitzunehmen ist – die Identität des Buches? Die Typografie, also seine Gestaltung (Schrift, Layout), unterscheidet es vom neutralen „Textträger“ E-Book. Schlechte Typografie erkennt man daran, „dass die Augen schmerzen“, so Malsy, dass Inhalte nicht klar sind. Und abgesehen von den sehr reduzierten Möglichkeiten des Displays der E-Reader (derzeit nur schwarz-weiß): „Die ,Typo‘ am Bildschirm ist ein schwieriges Feld, weil dynamisch: Je nachdem, welchen Computer mein Empfänger hat, hat der auch andere Schriften geladen – nicht Arial, sondern Verdana.“

Die Typografie – die übrigens nichts mit der Kalligrafie, dem Schönschreiben, zu tun hat – „hat in den Achtzigern ihre größte Revolution erfahren“, so Malsy: „Von Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks um 1450 bis in die 1950er, 60er gab es Gesetzmäßigkeiten, was gute, lesbare Typografie ist. Abgesehen von Modifizierungen blieben die Regeln 500 Jahre gleich. Mit Aufkommen des Fotosatzes verloren die Buchstaben aus Blei – im wahrsten Sinne des Wortes – an Gewicht, sie wurden zu Lichtstrahlen. Das ergab auch Veränderungen in der Typografie: Buchstaben konnten etwa ganz eng gesetzt werden.“ Schon in den 1920ern hätten El Lissitzky oder Kurt Schwitters Ähnliches versucht – im Bleisatz. „Die Setzer sind schier verrückt geworden, haben die Künstler auch für verrückt erklärt. Weil sie die Bleibuchstaben, die man sonst in der Horizontalen setzt, diagonal eingespannt haben. Die musste man mit Holz verkeilen – also ver-rücken.“

Die größte Revolution erfolgte dann „1984 mit Erfindung des Macintosh, des Computers, mit dem man ein Werkzeug hatte, das ganz leicht bedienbar war“. Jeder Laie kann heute seinen Text setzen – „nicht mit Hand oder Schreibmaschine geschrieben, wo man sich aufs Formulieren konzentriert. Nein: Wenn wir am Computer schreiben, kucken wir automatisch auf Arial oder Times New Roman: eine bestimmte Schriftart, Schriftgröße. Wir gestalten sofort mit, wenn wir schreiben.“ So bleibt jedenfalls ein Funke Individualität erhalten – sollten wir nach dem Buch dann unsere Handschrift verlieren.

ZUR PERSON

Victor Malsy (geb. 1957, Froschhausen) ist u. a. ausgebildeter Krankenpfleger, studierte Grafikdesign. Seit 2000 Professor für Kommunikationsdesign in Düsseldorf. [malsyteufel]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2009)

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