Hunderte Millionen Nutzer – aber kein Plan

Für soziale Netzwerke wie StudiVZ und Facebook existiert noch immer kein Geschäftsmodell.

Welchen Wert hat eine ungewisse Zukunft? Diese Frage wird auf den Finanzmärkten täglich aufs Neue gestellt. Ganze Branchen – wie etwa die Biotechnologie – leben davon, dass eine Heerschar von Risikokapitalgebern und „Business Angels“ positive Prognosen für ihre künftigen Ergebnisse erstellt. Doch in der Regel gibt es dafür einen Plan, mit dem sich trefflich rechnen lässt: Mit einer Wahrscheinlichkeit von x Prozent wird der Impfstoff in y Jahren marktreif und bringt dann durch Verkauf von Lizenzen einen Gewinn von z ein.

Bei sozialen Netzwerken ist ein solcher Kalkül nicht möglich. Aus einem einfachen Grund: Sie haben noch gar kein Geschäftsmodell, bei dem man abschätzen könnte, mit welcher Wahrscheinlichkeit es aufgeht. Es ist zwar eine eindrucksvolle Leistung, wenn Plattformen wie Facebook, MySpace oder StudiVZ hunderte Millionen Menschen tagtäglich zu einer virtuellen Gemeinschaft vereinen. Aber in klingende Werbemünze lässt sich diese neue Form von Öffentlichkeit viel schwerer umsetzen, als anfangs gedacht.

Denn auch die User kennen ihre Macht und nutzen sie, um sich der Verführungsmacht der Marketingstrategen zu entziehen. Sobald Werbebanner überhandnehmen oder persönliche Daten an andere Unternehmen verkauft werden sollen, regt sich massiver Protest. Schon mehrmals mussten Facebook und StudiVZ ihre noch recht zaghaften Versuche einer stärkeren Vermarktung wieder aufgeben.

Umsatz x 2,2 = Marktwert

Kein Wunder, dass sich in den Bewertungen der Investoren eine gewisse Ernüchterung breitmacht – wenn auch auf einem hohen Niveau der Euphorie. Vor zwei Jahren, in der Morgenfrische der Web-2.0-Ära, kaufte sich Microsoft mit einem Mini-Anteil bei Facebook ein. Hochgerechnet hätte sich daraus ein Gesamtwert von 15 Milliarden Dollar ergeben. In dieser Woche hat der Moskauer Internetkonzern Digital Sky seinen Anteil an Facebook aufgestockt. Aus diesem Deal ergibt sich ein Firmenwert von „nur“ 6,5 Milliarden Dollar – und selbst das ist wesentlich mehr, als Analysten erwartet hatten.

Denn für Unternehmen, die von Werbeeinnahmen im Internet leben, lautet die Faustregel sonst recht bescheiden: Nimm den Jahresumsatz mal 2,2 und du weißt, was der faire Kaufpreis ist. Den Russen scheint Facebook, das heuer 500 Millionen Dollar Umsatz machen will, aber das 13-Fache wert zu sein. Zum Vergleich: Sogar Google, das sich als Suchmaschine Nummer Eins längst auch als Werbegroßmacht etabliert hat, wird nur mit dem Sechsfachen seiner Erlöse bewertet.

Es scheint also noch um mehr und anderes zu gehen. „Wir wollen erfahren, womit sich jugendliche User im Internet beschäftigen“, erklärte Holtzbrinck-Vorstand Jochen Gutbrod Anfang 2007 auf die Frage, warum der Stuttgarter Verlag 85 Millionen Euro für StudiVZ bezahlte – ein Unternehmen, das bisher nur Verluste schrieb und tatsächlich keine zündende Idee hat, wie sich das ändern soll.

Klassische Medien und Werbebranche starren gebannt auf eine Generation, die ihrem Einfluss zu entgleiten droht. In den sozialen Netzwerken gibt diese sich preis; mit ihren Bedürfnissen, ihren Zielen, ihren Sehnsüchten. Aber was die Investoren daraus erfahren, ist eine bittere Pille: Von Werbung möchte sie dabei nicht gestört werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2009)

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