„Durch Staaten und Kriminelle wird das Internet zur Bedrohung für Bürgerrechte“

Interview. Der gebürtige Südtiroler und Stanford-Professor Roland Benedikter kritisiert im „Presse“-Gespräch die zunehmenden Kontrollbestrebungen demokratischer Staaten.

Die Presse: Herr Benedikter, sind denn Ihre digitalen Daten sicher?

Roland Benedikter: Nein, meine Daten sind genauso unsicher wie die aller anderen. Und sie werden exponentiell unsicherer, weil jährlich die Angriffe auf vermeintlich geschützte Daten stark ansteigen. Und zwar auf allen Ebenen. Internetkriminalität ist in technologisierten Gesellschaften der am stärksten wachsende „Geschäftszweig“ überhaupt. Zuletzt tauchten im Netz die geheimen Baupläne des modernsten amerikanischen Kampfflugzeugs auf, die vermutlich bei einem von China aus organisierten Hackerangriff gestohlen wurden. Das erfordert nun Milliardeninvestitionen, um den Jet wieder umzubauen.


Nehmen Staaten deshalb Cybersecurity zusehends ernster?

Die steigende Überwachungssucht von Regierungen gegenüber ihren Bürgern macht mir Sorgen. Vielerorts glaubt man, innere Sicherheit nur mit sogenannten Bundestrojanern oder ähnlicher Software gewährleisten zu können. In Italien wurde bekannt, dass die Behörden eine Million Überwachungen im Jahr vornehmen. Diese Tendenz ist in demokratischen Gesellschaften eine problematische Entwicklung. In Ländern wie Nordkorea ist man Supression durch den Staat ja gewöhnt. Aber in der westlichen Welt tut sich derzeit eine Paradoxie des Netzes auf. Ein Tool, das uns Emanzipation und Befreiung versprochen hat, wird immer mehr für das genaue Gegenteil eingesetzt. Das Internet wendet sich heute gegen sich selbst. In den USA führen wir derzeit eine Debatte, ob sich das Internet irgendwann einmal gegen sich selbst richtet und durch die zunehmende Überwachung Amerika zu einer illiberalen Gesellschaft macht.


Ist in einer vernetzten Welt Datensicherheit für Firmen oder Privatheit für Bürger überhaupt noch möglich? Facebook-Gründer Mark Zuckerberg spricht vom Ende der Privatsphäre.

Deswegen hat Zuckerberg kürzlich auch einen schweren Einbruch erlebt. Aber ja: Privatheit und Datensicherheit werden immer mehr zum Luxus des 21.Jahrhunderts, den sich nur noch Einzelne werden leisten können, entweder mittels hoher Ausgaben für Sicherheitssysteme oder durch den Einsatz des eigenen Know-how.


Was könnte diese Unterteilung der Gesellschaft in Wissende und Unwissende für die Demokratie bedeuten?

Der Zugang zu Informationen wird wohl der entscheidende Unterschied zwischen Menschen erster und zweiter Klasse werden. Gleichzeitig wird das Internet aufgrund der erwähnten invasiven Entwicklung durch Staaten und Kriminelle zur Bedrohung für die Bürgerrechte. Das gefährdet nicht nur die Demokratie, sondern auch die Wirtschaft. Je stärker man entwickelt ist, desto angreifbarer wird man. Früher war das umgekehrt. Wir in unseren offenen Gesellschaften geben viel zu viel von unserem Wissen preis, weil die anderen das dann gegen uns verwenden. Es ist leider so, dass nicht jeder immer nur Gutes will.

Der sogenannte Krieg gegen den Terror diente als Argument für mehr Bürgerüberwachung. Nun malt man den Teufel in Form von Cyberattacken an die Wand. Ist das eine bewusste Strategie, um die Rechte der Bürger noch mehr zu beschneiden?

Das glaube ich nicht. Ich würde eher von einer unglücklichen Entwicklung sprechen, die mit der Eigendynamik eines in vielen Bereichen vernetzten Systems zu tun hat. Eine Entwicklung, der wir aber in jedem Fall gegensteuern müssen.

Trotz der vielfältigen Möglichkeiten für Spionage begegnen autoritäre Systeme dem Internet mit Skepsis. Warum?

US-Außenministerin Hillary Clinton hat das ganz richtig skizziert. Wenn jeder Mensch auf der Welt Zugang zum Internet hätte, würden sich Werte wie Freiheit und eine offene Gesellschaft letztendlich durchsetzen, weil jeder Mensch sich so etwas wünscht. Der Arabische Frühling war ein gutes Beispiel dafür. Aus diesem Grund beschäftigt China zumindest 80.000 professionelle Hacker, um missliebige Personen auszuspionieren oder um an fremdes Know-how zu kommen.


Sind die Gefahren, denen wir durch Cyberangriffe ausgesetzt sind, wirklich so groß?

Sie werden sogar noch größer werden. Spätestens dann, wenn Cybertechnologie in den Menschen selbst gelangt. Was ein Mensch mit seinen Augen sieht, mit seinen Gliedmaßen macht, bestimmt er heute ganz allein selbst. Sobald aber künstliche Augen oder Prothesen über technisch-organische Schnittstellen gesteuert werden, bekommen Angreifer über diese Schnittstellen „Zugriff“ auf den Menschen selbst.


Durch den Einsatz von Cybertechnik muss man also zwangsläufig eine gewisse Verwundbarkeit in Kauf nehmen, die es in einer analogen Welt nicht gibt?

Diesen Preis werden wir in Zukunft zahlen. Wenn wir bisher unheilbare Krankheiten heilen wollen, müssen wir das Klonen in Kauf nehmen. Das gleiche Prinzip gilt für die Cybertechnologie. Je näher man an den Menschen selbst herankommt, desto mehr stellt man das menschliche Wesen zur Disposition. Die einzige Möglichkeit, diese Entwicklung aufzuhalten, wäre abzuschalten, auszusteigen und nach Goa zu gehen. Das wird aber nicht geschehen, weil niemand mehr auf diese Technologie verzichten möchte.


Es gibt die Legende, dass Computerviren ein Konstrukt der Softwareindustrie sind, die sich so ihr eigenes Geschäftsmodell geschaffen hat. Nun heißt es, wir müssen uns gegen angeblich fatale Angriffe aus dem Netz schützen. Erwartet sich hier wieder jemand ein großes Geschäft?

Ich habe keine Hinweise darauf, dass dem so ist, das sind Verschwörungstheorien. Aber: Unternehmer und Staaten werden in Zukunft verstärkt miteinander kooperieren. Daraus können sich durchaus problematische Entwicklungen ergeben. Wenn sich private Interessen in diesem sensiblen Bereich mit öffentlichen Interessen mischen, stehen uns unheilige Vorgehensweisen ins Haus. Darauf müssen wir sehr genau achten. Derzeit ist es aber so, dass eher Staaten viele Milliarden Dollar einsetzen, um Angriffe auf unterschiedliche Gegner zu fahren. Denken Sie nur an den aktuellen „Flame“-Virus.


Ist der konventionelle Krieg ein Auslaufmodell?

Es ist ein Missverständnis, wenn man glaubt, dass sich Staaten künftig virtuelle Schlachten ohne menschliche Opfer liefern werden. Das Ziel eines Angriffs bleibt immer der Mensch selbst. Vielmehr wird sich die Militärtechnik weiterentwickeln. Ich spreche von der direkten Verschaltung menschlicher Körper mit Technik und cybertechnologischen Steuermechanismen. Das wird zu einer Enthumanisierung der Kriegsführung führen.


Woran denken Sie?

Schon jetzt standen jene Spezialeinheiten, die Osama bin Laden töteten, unter völliger Kontrolle ihrer Einsatzleitung. Ihre Körperfunktionen wurden mittels Sensoren fernüberwacht, sie bekamen Drogen, Implantate in ihren Gehirnen sollten bestimmte Mechanismen im Organismus überbrücken oder überaktivieren. Diese Männer hatten streng genommen nicht mehr die Kontrolle über ihr eigenes Ich. Die Kriege werden inhumaner werden. AWE

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2012)

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