Wie IT-Konzerne Autos und Schuhe ins Netz bringen

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Von wegen vernetzte Welt. 99 Prozent der Dinge sind "offline". IT-Konzerne wollen Autos, Schuhe und Bäume ins Netz bringen. Sie kämpfen um Billionen Euro und das Vertrauen der Bürger.

Zugegeben, das Timing könnte besser sein. Eben erst musste US-Präsident Obama einräumen, dass sein Land nicht nur die Handys der Taliban anzapft, sondern auch bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel auf Lauschposten ist. Und auch was bei Google und Yahoo gesucht wird, landet früher oder später in Washington. Und trotzdem: Mitten im neu entdeckten Entsetzen Europas über die Gefahren der vernetzten Welt trafen sich vergangene Woche 800 Konzernführer im Barcelona, um die digitale Zeitenwende zu feiern. Denn sie sind sich sicher: Das ist erst der Anfang. Noch heuer wird es zwar erstmals mehr mobile Internetgeräte als Menschen geben, aber immer noch sind 99,4 Prozent aller Dinge nicht mit dem Internet verbunden. Und das soll sich ändern.

„Schreiben wir Geschichte, verbinden wir den Rest der Welt mit dem Internet“, heizt Wim Elfrink, Globalisierungschef bei Cisco, der Menge beim ersten „Internet of Things World Forum“ ein. Das Internet der Dinge (IoT) ist die Erweiterung des Internets auf die reale Welt. Alle erdenklichen Objekte sollen mit Sensoren ausgestattet, mit dem Internet verbunden und so „intelligent“ gemacht werden. Zum Wohle der Menschheit, versteht sich.

Vernetzte Welt
Vernetzte WeltDie Presse Print

Sind sie erst intelligent, können etwa Autos selbst lenken oder Weizenfelder selbst bestimmen, wann sie gegossen werden wollen. Vergisst ein Patient seine Medikamente zu nehmen, ruft ihn die vernetzte Pillendose an. Hebt er nicht ab, gilt der nächste Anruf der smarten Schachtel dem Arzt. Die Analysten von Gartner und IDC rechnen damit, dass in sieben Jahren 212 Milliarden Dinge mit dem Internet verbunden sein werden. Gewaltige Mengen an Energie, Wasser und Personalkosten sollen so gespart werden, rechnen sich die versammelten IT-Größen am Strand von Barcelona gegenseitig vor. Konkret geht es um 14,4 Billionen US-Dollar, die allein der private Sektor in den kommenden zehn Jahren mit dem IoT verdienen oder an Kosten einsparen kann, schätzt Cisco.


Boom beginnt.
Das ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Die smarten Pillendosen gibt es schon, ebenso einen Spiegel, der automatisch die Gesundheitsdaten des Betrachters checkt, ja selbst ein Fressnapf, der sich selbst wieder füllt, wenn der Hund ihn leergefressen hat, wurde in Japan schon erfunden. Auch österreichische Firmen naschen am Internet der Dinge mit. „Wir sind das T im IoT“, sagt Georg Kopetz, Chef von TTTec, in Barcelona zur „Presse am Sonntag“. Seine Firma sorgt etwa dafür, dass sich Windkraftanlagen automatisch so ausrichten, dass sie am meisten Wind abbekommen, oder dass sich Maschinen in Fabriken selbstständig melden, wenn sie gewartet werden müssen. Seit nunmehr 15Jahren geistert der Begriff Internet der Dinge durch die Branche. Warum also die große Aufregung?

Erstens: Es gibt endlich genug Platz, um alle Geräte ins Internet zu integrieren (das ist der Job, den Cisco übernehmen will). Im alten Internetprotokoll (IPv4) gab es nur Platz für 3,7 Milliarden Geräte oder Nutzer. Ende 2011 platzte es aus allen Nähten. Mit der Umstellung auf das neue Protokoll (IPv6) gibt es nun 340 Sextillionen IP-Adressen. Das sind 340 Milliarden-Milliarden-Milliarden-Milliarden und sollte eine Weile reichen. Zweitens: Sensoren werden billiger, und Breitbandverbindungen sind weitverbreitet. Drittens: Mit dem Boom der Smartphones – wichtiger: mit der Erfindung der Apps – gibt es erstmals einen Weg, wie all die Daten, die gesammelt werden, auch beim Konsumenten in Geld umgemünzt werden können.

Dann etwa, wenn, wie in Barcelona, die Parkplätze mit Sensoren ausgestattet sind und Autofahrern via Handy melden, wo der nächste (kostenpflichtige) Parkplatz frei ist. In Barcelona wissen übrigens auch manche Mistkübel, wann sie voll sind und manche Straßenlaternen wissen, wie viele Menschen über den Platz gehen – und welche.


Jeder spioniert.
Nicht für jedermann eine angenehme Vorstellung. Wie bei jeder neuen Technologie mangelt es auch daher auch IoT nicht an Mahnern: Was, wenn Hacker eines der neuen Tore ausnützen, um in ein System einzudringen, an dem die Stromversorgung eines ganzen Landes hängt? Bei wem landen all die Daten, die intelligente Toiletten, Schuhe und Uhren über uns sammeln werden? „Sicherheit und Datenschutz sind die einzigen Stolpersteine für das Internet der Dinge“, sagt Cisco-Vorstand Anil Menon zur „Presse am Sonntag“. Sicherheit müsse schon beim Aufbau der Infrastruktur mitbedacht werden. Garantie könne aber niemand geben: „Heute spioniert jeder jeden aus.“ Entscheidend sei, dass die Menschen die Möglichkeit hätten, beim IoT eben auch nicht mitzumachen.

Allzu groß ist die Möglichkeit, sich zu verweigern aber nicht, wie Österreich gerade am eigenen Leib erlebt. Bekanntlich sollen hierzulande bis 2019 mindestens 95 Prozent der 5,7 Millionen Stromzähler durch Smart Meter ersetzt werden, wünscht die EU. Das heimische Gesetz räumt allerdings jedem Bürger das Recht ein, sich dagegen zu entscheiden. Ein Widerspruch, der große Energiefirmen schon dazu getrieben hat, die Einführung zu stoppen.

Zu glauben, dass Anlaufschwierigkeiten das Internet der Dinge aufgehalten könnten, wäre aber naiv. Dafür sind die erhofften Gewinne der Unternehmen zu hoch. Dafür sind auch die Verlockungen für die Stadtregierungen, mit neuen Services zusätzliche Einnahmen lukrieren zu können, zu groß. Die nächste Generation werde Datenschutz ohnedies nicht mehr kennen, ist man sich auf den Gängen des Hotels Arts sicher. Kinder seien es gewöhnt, ihre Daten im Internet zu teilen. Werden sie es auch gewöhnt sein, dass Maschinen ihre Arbeit übernehmen? Verlernen sie eigenständiges Denken, wie es der Internetkritiker Evgeny Morozov in „Smarte neue Welt“ prophezeit?

Nicht alle, die mit denkenden Dingen ihr Geld verdienen, weisen das Szenario komplett von der Hand. „Es gibt sehr viele Vorteile“, sagt TTTec-Chef Kopetz. „Aber ein System, in dem ein Computer letztlich über den Menschen entscheidet, will ich nie haben.“

Der Autor war auf Einladung von Cisco beim „Internet of Things World Forum“ in Barcelona.

In Zahlen

212Milliarden Dinge werden im Jahr 2020 mit dem Internet verbunden sein, prognostizieren die Analysten von Gartner und IDC.

14,4Billionen US-Dollar an Gewinn oder Kosteneinsparungen soll das Internet der Dinge in den kommenden zehn Jahren allein für die Privatunternehmen bringen, schätzt Cisco.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2013)

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