Web 2.0 steht erst am Beginn

(c) reuters (Paulo Whitaker)
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Eine Konferenz zeigt neue Wege des Mitmach-Internets auf. Web 2.0: So manche würden den Begriff schon gerne zu Grabe tragen, die meisten haben noch nie davon gehört und viele Fragen sich, was damit gemeint sein soll.

Vergangene Woche war San Francisco einmal mehr der Nabel der Internet Welt - die Web 2.0 Expo mit über 1.500 Teilnehmern fand im berühmten Moscone Center statt. An jenem Ort, wo Steve Jobs die Innovationen von Apple präsentiert. Der Mitbegründer und geistige Vater dieser Konferenzen ist Tim O’Reilly – jener Mann der für den Begriff Web 2.0 verantwortlich zeichnet und hinter dem O’Reilly Verlag steht.

Ist aus Sicht der Innovationsführer im Silicon Valley schon ein Ende des Hypes gekommen? Mitnichten wie sich zeigen sollte.
Tim O’Reilly meinte der Beginn von Web 2.0 sei Googles PageRank Mechanismus gewesen, denn jeder Link ist ein Votum und bestimmt über den Rang einer Website - Partizipation als zentrales Fundament von Web 2.0.
Clay Shirky, Internetguru und Professor an der NYU, rechnet vor daß nur 1% des jährlichen globalen TV Konsums der Internetbevölkerung genügend Zeitbudget für 10.000 Projekte in der Größenordnung von Wikipedia birgt. Er zeigt uns damit was möglich ist, wenn wir nur ein wenig aktiv, produktiv, kreativ würden anstatt uns passiv berieseln zu lassen. Das gibt zu denken – und einige der jüngsten Startups und Projekte die vorgestellt und diskutiert wurden sind beeindruckend.

Web 2.0 durchdringt neue Bereiche

Der Einsatz von Web 2.0 im Finanzbereich war ein großes Thema. Wesabe ist eine Website wo Menschen Ihre Ausgaben detailliert festhalten können. Diese Daten kombiniert mit dem kollektiven Wissen aller User und Analysemechanismen geben so Aufschluß über das individuelle Konsumverhalten. Das Ziel ist der Ausbau der Macht vernetzter Konsumenten und was würde diese besser ausdrücken als konkret optimierte Kaufentscheidungen. Wesabe bietet eine Dienstleistung die auf Basis der vorhandenen Datengrundlage ideal von Banken erbracht werden könnte.

Ein anderer Vertreter im Bereich innovativer Ansätze im Finanzbereich ist Prosper.com. Das junge Startup macht Schlagzeilen angesichts der Kreditkrise in den USA. Es vermittelt Kredite zwischen normalen Bürgern, die Zinsen werden mittels Auktion festgelegt. Mit Venture Kapital in Höhe von $ 40 Millionen finanziert wurde bisher ein Kreditvolumen von $135 Millionen vermittelt und die Community von Prosper.com hat heute 670.000 Mitglieder.

Ein anderes großes Thema war „das Netzwerk ist der Computer“ in Verbindung mit der Idee von „ambient computing“. Nur was online ist und vernetzt ist hat einen (Mehr-)Wert, Interoperabilität und Offenheit sind die Erfolgsfaktoren und in Zukunft ist das Internet überall, nicht nur am PC. Erwähnenswert in diesem Bereich ist das Quake Catcher Network. Viele Laptops haben Bewegungssensoren. Nützt man diese kollektiv und vernetzt erhofft man sich exaktere Vorhersagen von drohenden Erdbeben. Ähnliches versucht auch DASH mit Navigationsgeräten und der kollektiven Verwendung dynamischer Userdaten um Staus vorherzusagen und Kunden zu routen.

Aus Web 2.0 wird Enterprise 2.0

Ein großes noch kaum erfasstes Feld ist Enterprise 2.0 – der Begriff umschreibt die Überführung von Paradigmen des Web 2.0 in ein Unternehmensumfeld. Doch was sind hier konkrete Erfolgsbeispiele?
Unternehmen und Kunden können sich wesentlich besser vernetzen. So hilft die Community http://ilovemydog.us Del Monte Foods besser über die Bedürfnisse seiner Kunden Bescheid zu wissen. Das Unternehmen kann in einem von Vertrauen geprägten Umfeld seine Kunden befragen und mit Ihnen gemeinsam die Produkte von morgen entwickeln. Del Monte zu Folge gehen die Erkenntnisse und Ergebniss über das was in klassischen Fokus Gruppen zu erreichen ist weit hinaus.

Ähnlich versucht Procter & Gamble mit http://www.beinggirl.com heranwachsende Mädchen als Kunden zu gewinnen. Die Ergebnisse des Projekts werden klassischen Werbe- und Kommunikationsmaßnahmen gegenübergestellt und bewertet. Vom Erfolg in den USA begeistert rollt man das Projekt nunmehr in 22 Ländern weltweit aus.

Jonathan Schwartz von Sun Microsystems, einer der profiliertesten Corporate Blogger, unterstreicht in einem Interview mit Tim O’Reilly, dass Kommunikation zentraler Bestandteil seiner Rolle als CEO ist. Forrester Research verweist dabei auf einen massiven sozialen Trend – Menschen nützen moderne Technologien um sich selbst zu helfen, anstatt sich an Unternehmen zu wenden. Unternehmen müssen sich in diesem Umfeld engagieren um nicht aus dem Entscheidungsraster zu fallen. Mehr darüber und wie man als Unternehmen damit umgeht erfährt man in dem jüngst erschienen Buch von Forrester Consultant Charlene Li mit dem Titel Groundswell. So erfährt man unter anderem, dass von 236 befragten Unternehmen mit über 20.000 Mitarbeitern rund 51% planen in 2008 Projekte im Bereich Web 2.0 umzusetzen.

Ein Mittel zum Zweck um große Ziele zu erreichen

Es gab aber auch jene Beispiele die zeigen wie Web 2.0 im Rahmen einer aktiven Zivilgesellschaft genützt wird – besonders dann wenn Staat und Institutionen versagen. So verortet ein Universitätsprofessor in Brasilien unter http://www.wikicrimes.org gemeinsam mit tausenden Usern Verbrechen auf einer Google Map. Dies hilft Bürgern gefährliche Orte in Ihrem Umfeld zu meiden. In einem anderen Projekt arbeiten Indianer des Amazonas mit Google Earth um illegale Abholzungen rascher zu erkennen und anzuzeigen.

Die beste Unterhaltung der Veranstaltung lieferte Dan Lyons, jener Mann der Monate lang als Steve Jobs Imitation unter http://fakesteve.blogspot.com sein Unwesen trieb und über 90.000 regelmässige Leser hat. Im Stile eines Stand-Up Comedians zog er die egozentrierte Web 2.0 Community durch den Kakao.
Beruflich schrieb er für das Forbes Magazine und betrachtete mit Sorge die Entwicklung der Printauflagen. Die Onlinetochter Forbes.com wollte Ihn mangels Erfahrung nicht einstellen und ein früherer Artikel in dem er sich sehr kritisch über Weblogs äusserte geriet ihm zum Nachteil.

Er startete das Projekt aus Langeweile – wie so viele Weblogs. Aber auch die Neugier hinter die Kulissen des gehypten Medienformats zu blicken trieb Ihn an. Doch was für Ihn als zynisches Experiment begann wurde ein Riesenerfolg und seine persönliche Erkenntnis wie die Zukunft der Medien als interaktiver Dialog zwischen Medium und Publikum aussehen wird.

In Europa und speziell in Österreich hinken wir in allen Bereichen dieser Entwicklung hinterher. Speziell Unternehmen haben die Möglichkeiten zur Nutzung von Web 2.0 noch nicht erkannt. Dan Lyons meint dazu „wir haben soviel Angst davor was alles kaputt gehen könnte, dass wir aus den Augen verlieren was alles entstehen kann.“

Der Autor

Dieter Rappold ist Mitgründer und Geschäftsführer von Knallgrau. Das Unternehmen ist Innovationsführer im Bereich Web 2.0 in der D/A/CH Region.

Dieter Rappold bloggt auf www.sierralog.com

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