Europa verliert das Geschäft mit dem Internet

Women try out Samsung Gear VR devices during a showcase at the Mobile World Congress in Barcelona
Women try out Samsung Gear VR devices during a showcase at the Mobile World Congress in Barcelona(c) REUTERS (GUSTAU NACARINO)
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Acht von zehn Erwachsenen weltweit werden 2020 ein Smartphone besitzen. Das Geschäft mit dem mobilen Internet ist heute schon milliardenschwer – und wächst rasant. Nur Europa kommt da nicht mit.

Wien. Die Chancen stehen gut, dass Sie diesen Text nicht wie früher gemütlich zum Frühstück in der Zeitung, sondern unterwegs auf Ihrem Smartphone lesen. Acht Jahre nachdem Steve Jobs das erste iPhone auf den Tisch gelegt hat, laufen zwei Milliarden Menschen weltweit wie selbstverständlich mit Minicomputern in der Hosentasche herum und haben so fast immer und überall Zugang zu fast allem. Aber mehr noch: Die Menschen lieben ihre Smartphones. Selbst während Gesprächen kleben sie am Bildschirm, Krankheiten wie der „Handy-Nacken“ sind Routine. In Großbritannien räumt jeder Zehnte ein, seine Finger sogar während des Sex nicht vom Handy lassen zu können.

Das Mekka der Smartphone-Aficionados heißt dieser Tage Barcelona. (Fast) die gesamte Branche ist am Mobile World Congress zum öffentlichen Schaulaufen versammelt. Die Unternehmen wissen: Mit der Liebe der Menschen zu ihren Handys lassen sich gute Geschäfte machen. Kein Produkt in der Geschichte der Menschheit verbreitete sich schneller als das Smartphone. Ende der Dekade werden acht von zehn Erwachsenen auf diesem Planeten ein solches Gerät am Körper tragen. Bei einem Durchschnittspreis von ein paar hundert Euro lohnt es sich für die Hersteller durchaus, hier vorn mitzuspielen.

2013: Hundert Milliarden Apps

Der amerikanische Apple-Konzern, Wegbereiter des Booms, liegt zwar nach absoluten Zahlen nicht mehr an der Spitze, bleibt aber dennoch das Maß aller Dinge. Das musste zuletzt auch Samsung feststellen. Mit über 300 Millionen verkauften Smartphones haben die Südkoreaner Apple nach Daten vom Marktforscher IDC im Vorjahr zwar hinter sich gelassen. Doch auch Samsung hält die Augen fest auf Apple gerichtet. Mit dem Galaxy S6 and S6 Edge präsentierte der Konzern in Barcelona wieder zwei Modelle, die hart an der Grenze zu Apples jüngstem Wurf sind. Beobachtern zufolge muss Samsung vermehrt Anleihen bei Apple nehmen, um die Konkurrenz aus den eigenen Android-Reihen auf Distanz zu halten. Denn hinter Apple lauern Lenovo (mit der Marke Motorola), Huawei, LG Electronics und natürlich Xiaomi, das oft als chinesisches Apple beschrieben wird.

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Kein einziges dieser Unternehmen kommt aus Europa. Doch die Pleite der europäischen Hardware-Anbieter ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch auf der „weicheren“ Seite des mobilen Booms, bei der Software, spielen die Europäer kaum noch eine Rolle.

Abstieg seit Abschied von GSM

Der Kontinent droht das Geschäft mit dem Internet zu verlieren. Bis ins Jahr 2017 werden Unternehmen mit dem mobilen Internet 1,55 Billionen US-Dollar (1,4 Billionen Euro) einnehmen, schätzt die Boston Consulting Group. Jährliche Zuwachsrate: 23Prozent.

Einen Großteil davon steuern Apps, kleine Programme für Smartphone und Tablet, bei. 200 Milliarden Apps wurden seit 2008 auf mobile Geräte heruntergeladen. Die Hälfte davon allein im Jahr 2013. Aus Europa kommen wenige. Dass sich die Mobilfunker dennoch jährlich in Barcelona treffen hat wohl eher mit dem Flair der Stadt als mit der Bedeutung des Kontinents zu tun. Europa hat den digitalen Anschluss an die USA längst verloren.

Beim jüngsten „Digital Evolution Index“ der Fletcher School belegten europäische Länder neun der zehn letzten Ränge. Seit der europäische Mobilfunkstandard GSM abgelöst wurde, sind hiesige Firmen im Hintertreffen. Allein im Vorjahr haben Apple, Facebook, Microsoft und Amazon ihren Marktwert um 400 Milliarden Dollar aufgemöbelt. Das ist mehr, als Europas vier größte Mobilfunker in Summe wert sind.

„EU braucht eigene IT-Branche“

Europas Abhängigkeit von amerikanischer IT ruft auch Datenschützer auf den Plan. Einer der bekanntesten ist Caspar Bowden, einst Microsofts Datenschutzberater. „Europa muss eine eigene IT-Branche aufbauen“, sagte er der „Presse“. „Wir brauchen Start-ups, Infrastruktur, aber auch große Softwarekonzerne mit zehntausenden Mitarbeitern, die ein europäisches Betriebssystem bauen. Ein Zehnjahresprogramm, so wie Airbus.“

Die europäische Realität ist davon ein Stück entfernt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht zwar gern von der digitalen Agenda, doch passiert ist wenig. Im Moment scheitern europäische Firmen oft schon, wenn sie online Waren in andere EU-Staaten verkaufen wollen. Das ist mit ein Grund, warum 85Prozent der Klein- und Mittelbetriebe in der EU das Internet bisher links liegen lassen.

Das Dickicht an nationalen Regularien und Gesetzen müsse gelichtet werden, wünscht sich die Telekombranche. „Wir brauchen klare Gesetze zu Datenschutz, Security und Urheberrecht“, sagt Thorsten Dirks von Telefonica Deutschland. Dann könne auch Europa einmal wieder gewinnen.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2015)

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