Bewertungen: Für Yelp wird der Filter zum Fluch

(c) REUTERS (JIM YOUNG)
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In den USA entscheiden die Noten auf der Bewertungs-Webseite Yelp über Wohl und Wehe von Läden und Lokalen. Nun wankt der Gigant selbst: Sein Aktienkurs stürzt ab.

Wien. Früher gab es etwas, das hieß Mundpropaganda. Heute tauschen sich zufriedene und zornige Kunden meist in digitaler Form aus. Auf Amazon beschreiben und benoten die Nutzer die Waren. Auf Tripadvisor oder Trivago erzählen Reisende von reizenden Wirtsleuten und Hotelzimmern voller Kakerlaken. Aber keine dieser Plattformen hat eine solche Macht über das Image von Anbietern wie Yelp in den USA. Auf 83 Millionen Bewertungen hat es die 2004 gegründete Seite bis heute gebracht. Wie viele Sterne ein lokaler Dienstleister dort erzielt, kann für ihn zur Existenzfrage werden. Und so manches Yelp-Opfer dürfte nun der Versuchung der Schadenfreude erliegen.

Denn vor Kurzem musste das hoffnungsvolle Tech-Unternehmen, das 2012 an die Börse gegangen ist, seine Aktionäre warnen: Es rutscht wieder in die Verlustzone, aus der es erst im Vorjahr entkommen war. Die Umsatzziele wurden das vierte Mal in Folge nach unten korrigiert. Die Folge: Der Kurs der Aktie brach um 28 Prozent ein. Über die vergangenen zwölf Monate hat der Titel gar 64 Prozent seines Wertes verloren. Und das, obwohl die Zahl der Zugriffe weiter steigt – nur das Wachstum schwächt sich deutlich ab. Ein Kommentatorin fragt sich, ob „Yelp noch überleben kann“, ein Kollege sieht die Firma schon „am Totenbett“. Ein bekannter Analyst prophezeit: „Am Ende verwenden es die Leute immer weniger. Das ist wie ein Räumungsverkauf.“ Seine Erklärung: „Es gibt da diese düstere Wolke des Misstrauens.“

Das ist der Panik Kern: Yelp hat selbst ein massives Imageproblem. Schuld daran sind nicht enden wollende Gerüchte, es ginge bei der Benotung nicht mit rechten Dingen zu. Die bittere Ironie dabei: Alle vergleichbaren Plattformen leiden unter gefälschten Kommentaren. Unternehmen besorgen sich falsche Lobeshymnen oder machen mit vernichtender Kritik ihre Konkurrenten fertig. Einzig Yelp hat dieser üblen Praxis von Anfang an den Kampf angesagt – mit einem ehrgeizigen Filter, der versucht, die dubiose Spreu vom seriösen Weizen zu trennen.

Rund ein Viertel der Kommentare wertet das Programm als „nicht hilfreich“, sie werden gut versteckt und fließen nicht in die Bewertung ein. Der Algorithmus dafür ist ein streng gehütetes Geheimnis. Denn wären die Kriterien bekannt, könnte man den Filter ja leicht überlisten. Die Geheimniskrämerei ist ein Quell des Misstrauens bei allen, die sich ungerecht behandelt fühlen. Denn der Algorithmus ist weit davon entfernt, unfehlbar zu sein. Leicht lassen sich Fälle finden, in denen er tadellose Kritiken aussiebt und unqualifizierte Hasstiraden durchgehen lässt. Vor drei Jahren kaufte das Unternehmen aus San Francisco den deutschen Mitbewerber Quipe, übernahm dessen Datenstock und jagte die Empfehlungen durch den Filter. Der Aufschrei blieb nicht aus. Da klagte etwa ein Chinarestaurant-Besitzer in München, dass alle positiven Beiträge plötzlich weg waren, was zu massivem Gästeverlust führte – alles andere als ein Einzelfall.

Die Saat des Misstrauens geht auf

Doch es geht um mehr als um ohnmächtige Wut über eine unangreifbare Maschine. Es geht um einen schlimmeren Verdacht: Yelp lebt von Werbeumsätzen. Seine Vertriebsmannschaft gilt als besonders aggressiv. Und immer wieder behaupten Unternehmer, Yelp-Verkäufer hätten sie dafür bestraft, dass sie keine Anzeigen schalteten – indem sie die Note drückten. Der Vorwurf läuft auf eine neue Form von Schutzgelderpressung hinaus. Yelp spricht von „Verschwörungstheorien“, befestigt seine „chinesische Mauer“ zwischen Programmierern und Vertrieb, ließ sich von Harvard ein positives Zeugnis ausstellen und hat auch mehrere Sammelklagen gewonnen. Aber es hilft nichts: Die Saat des Misstrauens geht auf.

Im Netz wimmelt es von Anti-Yelp-Foren. Im Vorjahr denunzierte ein Pizzabäcker das Unternehmen als moderne Form der Mafia und wehrt sich nun subversiv, indem er seine Kunden zu Ein-Stern-Bewertungen mit frechen Kommentaren animiert. Etwa: „Botto Bistro hat meine Ehe ruiniert. Das Essen ist so gut, dass es mir zu Hause nicht mehr schmeckt.“ Die amerikanische Öffentlichkeit lacht und applaudiert dem David.

Der Goliath hat das Nachsehen. Und muss nun zugeben, dass er Rekrutierungsprobleme hat. Im Silicon Valley will niemand mehr dort arbeiten. Und das dürfte nicht nur daran liegen, dass die Aktienoptionen als Gehaltsbestandteil zurzeit wenig attraktiv sind. Was an den Vorwürfen gegen Yelp wirklich dran ist, wird wohl ebenso ein Geheimnis bleiben wie der sagenumwobene Algorithmus. So viel scheint freilich gewiss: Aus der Sicht von Image und Marketing war der raffinierte Filter wohl keine so gute Idee.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2015)

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