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Musikmarkt: Der Fan als Plattenboss

(c) EPA (Francis R. Malasig)
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Die Internetseite Sellaband wird als Onlinerevolution auf dem Musikmarkt gefeiert. Dort kann man sein Geld in potenzielle Hitfabrikanten investieren.

Es klang verlockend, aber zu Beginn erschien es mir ein bisschen unrealistisch“, erzählt die polnische Singer-Songwriterin Julia Marcell. Ja, man muss schon ein wenig Gottvertrauen haben, wenn man darauf hofft, dass einem wildfremde Menschen eine CD-Aufnahme bezahlen wollen. Darum geht es auf der Internetplattform Sellaband. Dort können Künstler ihre Musik in die virtuelle Arena werfen und auf Unterstützung hoffen. Auf ganz handfeste finanzielle Unterstützung nämlich: Die Fans, die im Sellaband-Jargon Believer heißen, können Anteile erwerben und sind anschließend am Erfolg beteiligt, außerdem gibt es Zuckerln wie limitierte Editionen.

Die Idee dazu kam 2006 dem Niederländer Pim Betist. Er hatte einen Freund, dessen Musik er gut fand und der auch auf MySpace jede Menge Fans hatte. Nur mit dem Plattenvertrag wollte es nicht klappen. Betist kam zur Schlussfolgerung: Wenn 5000 Leute die CD fix vorbestellten und somit eine Finanzierung vorläge, könnte man das Album doch an den Plattenfirmen „vorbeiproduzieren“. Ironischerweise ging er mit seiner Idee ausgerechnet zu einer Plattenfirma: Johan Vosmeijer, der heute das Projekt mit Dagmar Heijmans leitet, war damals Manager bei Sony BMG. „Wir wussten, dass die Musikindustrie sich verändern muss“, sagt er. „Aber uns war auch klar, dass die Musikindustrie nicht so schnell von sich aus etwas tun würde.“ Deshalb hat er kurzerhand gekündigt und sich auf das Experiment eingelassen.

Aus Vosmeijers und Heijmans' beruflichem Hintergrund schöpft Sellaband einen der größten Vorteile im Vergleich zu ähnlichen Projekten. Schafft es ein Künstler nämlich, das angepeilte Zielbudget zu erreichen, dann hat er die Möglichkeit, als Nobody mit renommierten Produzenten zusammenzuarbeiten. Ohne die Kontakte und das Know-how aus der früheren Karriere wäre das wohl schwer möglich. Julia Marcell etwa landete beim deutschen Produzenten Moses Schneider, der in der Vergangenheit zum Beispiel mit Tocotronic gearbeitet hat. Künstlerisch wird von Sellaband nichts dreingeredet: „Ich hätte auch Hobbitgesänge mit Staubsaugern machen können, alles meine Entscheidung“, sagt Marcell. Auch das Copyright wird nicht angetastet. Sellaband behält die Zinsen der investierten Gelder und erhält Gebühren. Einnahmen aus Merchandising und Konzerten können die Künstler behalten.

Glaubensfrage. Zu Beginn ging das Konzept von Sellaband direkt auf Betists Idee zurück, und die Believer kauften Anteile einer CD. Vor Kurzem wurde das Angebot erweitert, die Künstler können jetzt auch Geld für Tourneen oder Werbemaßnahmen sammeln. Die bisher schnellste Believer-Sammlerin war die Britin Ellie Williams, die hatte 50.000 Dollar in nur 50 Tagen beisammen: „Sie machte sehr schlaues Marketing, nutzte auch lokale Radiostationen und Zeitungen“, erzählt Vosmeijer. In Kürze erscheint die 25. CD, die mittels Sellaband produziert werden konnte, sie ist von der Spanierin Lucia Imam. Auch zwei österreichische Bands waren schon erfolgreich, Solidtube mit Countryrock und Confused5 mit Blues. Andere Österreicher nutzen Sellaband als Marketinginstrument. Die Rockband Kontrust lukriert so Fans aus aller Welt. Und man schätzt den Kontakt mit anderen Künstlern aller Generationen.

Auch als Künstler ist man nicht davor gefeit, zum Believer zu werden. Sowohl Kontrust als auch Julia Marcell haben schon auf Sellaband investiert. Auf die Frage, ob die „Aktionäre“ aus Freude an der Musik mitmachten oder aus strategischen Gründen, sagt Vosmeijer: „Wir sagen unseren Usern immer, sie sollen ihren Hauptberuf erstmal nicht aufgeben. Aber der finanzielle Output ist sowieso für die meisten nicht das Ausschlaggebende.“ Julia Marcell sieht das ähnlich: „Viele wollen einfach nur ein bisschen am kreativen Prozess mitnaschen.“ Für Johan Vosmeijer heißt das auch, dass er schon CDs produziert hat, denen er in seiner früheren Karriere nicht den Funken einer Chance gegeben hätte. „Das ist ja der Grund, warum es Sellaband gibt! Bisher haben uns Plattenfirmen gesagt, welche Musik wir mögen müssen. Bei Sellaband entscheiden das die Fans.“ Besteht denn da nicht die Gefahr, dass dann nur mehr gefällige Musik produziert wird? „Wer sind wir schon, dass wir uns da einmischen? Wenn die Fans sich für Gefälliges entscheiden, warum nicht?“, sagt Vosmeijer dazu.

Vor Kurzem machte ein auffälliger Neuzugang Schlagzeilen: Die nicht ganz so unbekannten Public Enemy wollen ihr neues Album nun auch auf diese innovative Weise finanzieren. Vosmeijer findet nicht, dass arrivierte Künstler den jungen, aufstrebenden die Aktionäre wegschnappen. „Es gab jede Menge PR durch den Einstieg von Public Enemy, und das brachte uns auch viele neue Believer. Ich denke, die kleinen Artists profitieren letztlich von den großen Namen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2009)

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