Urheberrecht: "Piraterie wird es immer geben"

Urheberrecht Piraterie wird immer
Urheberrecht Piraterie wird immer(c) BilderBox.com
  • Drucken

Warum wir soziale Netzwerke immer wieder aufs Neue hassen und das Eigentum neu erfinden müssen. Der Londoner Blogger, Science-Fiction-Autor und Journalist Cory Doctorow im Interview mit der "Presse".

Wie geht man mit der Diskrepanz zwischen einer Gratis-Download-Kultur im Internet und Urheberrechten um?

Cory Doctorow: Wir brauchen ein System an Regeln. Es gibt kulturelle Regeln – zum Beispiel erzähle ich Ihnen nicht das Ende eines Films, wenn Sie ihn noch nicht gesehen haben – und es gibt industrielle Regeln. Wir haben beide immer streng auseinander gehalten und sind davon ausgegangen, dass, wer kopiert, kommerzielle Interessen hat. Das stimmt heute aber nicht mehr. Es hat keinen Sinn, wenn dieselben Regeln für Hollywood-Riesen und zwölfjährige Fans gelten. Wenn „Universal“ ein Harry-Potter-Witze-Buch machen möchte, hat es Anwälte, die sich um Lizenzen kümmern. Eine Zwölfjährige, die eine Harry-Potter-Fansite machen möchte, hat das nicht. Zwölfjährige haben schon immer ihre eigene Version von Büchern und Filmen, die sie lieben, gemacht. Sie sollten nicht unter kommerzielle Regulierungen fallen, nur weil sie Computer verwenden.

Es gibt da aber einen großen Graubereich. Wie definiert man kommerzielle und nicht kommerzielle Handlungen?

Schulen zum Beispiel sollten das Recht haben, Kopien zu machen. Das wurde auch immer akzeptiert. Wo es nicht akzeptiert wurde, gab es Einzelgenehmigungen. Das ist auch weiterhin sinnvoll. Wir brauchen stärkere positive Ausnahmen im Urheberrecht für kritische Diskussionen. Und den Rest lösen wir so, wie wir es immer getan haben, mit Richtern. Und ich denke, wir sollten nicht immer von Besitz und Eigentum ausgehen. Zum Beispiel beim Datenschutz. Eine Telefonnummer ist eine persönliche Information. Man möchte vielleicht nicht, dass sie in der Zeitung steht. Aber die meisten Leute würde nicht sagen, dass sie ihre Telefonnummer besitzen, oder?

Nicht unbedingt.

Eben, sie haben vielmehr ein Interesse daran. Es gibt viele Bereiche, an denen wir interessiert sind, ohne sie zu besitzen. Ich habe eine zweijährige Tochter, sie ist nicht mein Eigentum. Sie ist aber meine Tochter, und das Gesetz berücksichtigt meine Interessen, ohne von Besitz auszugehen. Es ist sinnvoller, über unsere konkurrierenden Interessen, das öffentliche Interesse und das persönliche Interesse an Privatsphäre als über Eigentum zu sprechen. Nicht, dass ich nicht an Eigentum glaube, aber ich kann nicht alles damit abdecken. Genauso ist es mit dem Urheberrecht. Das Urheberrecht ist wichtig, ich bestreite mein Einkommen damit. Aber wenn ich es auf alles ausweite, hat es keinen Sinn mehr, und dann verliere ich die Regeln, mit denen ich meinen Unterhalt verdiene. Wir brauchen explizite Regeln, die weltweit gültig sind, und auch Prinzipien, die Gesetze leiten, wenn sich neue Technologien entwickeln. Wir können nicht sagen, so sieht Copyright aus, wir sind fertig, die Technologie wird sich nicht ändern.

Apropos geistiges Eigentum: Ihre Bücher sind als Gratis-Download und gedruckt erhältlich. Denken Sie, dass beide Varianten immer gemeinsam existieren werden, oder wird die eine die andere verdrängen?

Gute Frage. Ich denke, im Moment gibt es zwei Dinge, die wir berücksichtigen müssen. Einerseits kann man Menschen nicht daran hindern, Kopien zu machen. Andererseits verkauft man mit Gratis-Downloads mehr gedruckte Bücher. Zumindest ist es jetzt so, das muss natürlich nicht immer so sein. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird. Meine Intuition sagt mir, dass es schräg wird. Es wird noch viel schräger, als wir uns das vorstellen. Aber egal, wie es sich ändert, das Kopieren wird nicht weniger werden. Man ist auf jeden Fall besser dran, wenn man mitmacht. Ein Beispiel: Kennen Sie die amerikanische Fernsehshow „Saturday Night Live“? Einer meiner Lieblingssketches ist jener über eine Bank, die dem Internet nicht traut. Sie wollen auf Nummer sicher gehen und warten. Leider zu lange, bis alle guten Domains vergeben sind und nur noch www.clownpenis.fart übrig ist. Wenn man das Internet boykottiert, bleibt eben nur noch www.clownpenis.fart über.

Wie sieht es mit der Entwicklung neuer Technologien aus? Sie schreiben, dass nicht die große Unternehmen, sondern die kleinen, kreativen sie vorantreiben. Warum?

Klein zu sein hat Vorteile. Man muss sich nicht darum kümmern, nicht sein existierendes Geschäft zu zerstören, weil man keines hat. Flexibilität ist ein Grund, warum kleine Firmen erfolgreich sind. Große Unternehmen können es sich nicht leisten, billig zu scheitern. IBM-Gründer Thomas Watson hat gesagt, um seine Erfolgsrate zu verdoppeln, muss man die Fehlerrate verdreifachen. Niemand strebt Fehler an, aber mit wenigen Leuten kann man schnell die Richtung wechseln.

Gibt es so etwas wie ein Geschäftsmodell für das Informationszeitalter?

Es gibt das Industriezeitalter, das Informationszeitalter – und in der Mitte herrscht Chaos. Traditionalisten versuchen, ein stabiles Geschäftsmodell für das Informationszeitalter zu finden, um das Chaos zu beenden. Ich denke aber nicht, dass das Chaos endet. Ich glaube, der technologische Wandel bleibt konstant. Was immer auch heute stabil ist, morgen wird es nicht mehr sein. Es ist sinnlos, nach einem Geschäftsmodell für das Informationszeitalter zu suchen. Das Geschäftsmodell für das Informationszeitalter ist, dass man es für das Informationszeitalter immer neu erfinden muss.

Wie sieht es aber mit Marketing und Networking in der Kreativwirtschaft aus? Da hapert es oft.

Das Internet macht es einfacher, Dinge zu bekommen, das heißt aber nicht, dass es einfacher wird, das Interesse der Menschen zu wecken. Social Media sind wichtig. Kleine Unternehmen haben einen Vorteil: das Persönliche. Man hat das Gefühl, man kommuniziert mit einer Person, nicht mit der Corporate Identity eines Konzerns. Das ist auch ein Grund, warum große Firmen kleine kaufen. Yahoo hat Flickr gekauft, weil Flickr diese richtige Persönlichkeit hatte, die Passion. Aber es verschwindet, weil sie jetzt in dieselbe Richtung gehen. Das ist der große Widerspruch.

Wie sieht die Zukunft aus?

Was Social Networks betrifft, läuft es ja folgendermaßen ab, wenn man eine neue Plattform entdeckt: Anfangs hat man viele Freunde, entdeckt alte Bekannte. Das fühlt sich wundervoll an, weil man mit allen Kontakt hat, die man mag. Und plötzlich fragt der Chef an, den man vielleicht nicht besonders mag. Man kann ihn aber nicht abweisen. Dann fragt die Nachbarin an, und plötzlich denkt man sich: Oh Gott, das ist ja wie im echten Leben. Und dann kommt ein neues Social Service auf. Wir sind von 6 Degrees zu Friendstore, von Friendstore zu Myspace, von Myspace zu Facebook gewechselt. Ich denke, die Zukunft von Social Media ist, dass man beendet, was man jetzt verwendet, und etwas anderes macht. Immer wieder.

Und die Zukunft des Internets?

Es gibt zwei Extreme: eine offene und eine geschlossene Variante. Das wird bei der Bekämpfung von Terrorismus, Piraterie oder Mafia deutlich. Die Ironie ist, dass alle Maßnahmen, die zum Beispiel Piraterie stoppen sollen, wenig Auswirkungen auf die Piraterie haben, aber auf innovative Geschäfte und individuelle Freiheit. Piraterie wird es immer geben. Wir sind an einem Scheideweg angelangt. Und es ist eine entscheidende Frage, ob Leute, die Angst vor dem Internet haben, die Zukunft gestalten oder jene, die optimistisch sind.

Cory Doctorow wurde 1971 in Toronto geboren. Er ist Science-Fiction-Autor, Journalist, Blogger (craphound.com), Internetaktivist, Mitherausgeber von Boing Boing, Autor des Bestsellers „Little Brother“, ehemaliger Leiter der Electronic Frontier Foundation und Mitbegründer der UK Open Rights Group. Im Februar kam das Print-on-Demand-Buch „With a Little Help“ heraus, im Mai wird „For the Win“ veröffentlicht. Er lebt mit Frau und Tochter in London.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.