Bereits fünf EU-Länder verweigern dem strittigen Urheberrechtspakt die Unterschrift. Eine Prüfung durch den EuGH scheint fix. Doch Brüssel hat den nächsten Vorstoß schon parat.
Wien/Auer. Die Massenproteste gegen das internationale Handelsabkommen Acta zeigen Wirkung: Nach Polen, Tschechien, der Slowakei und Lettland verweigerte am Freitag überraschend auch EU-Schwergewicht Deutschland dem umstrittenen Vertragswerk die Unterschrift. Dabei hatten EU und 22 Mitgliedsländer das Abkommen gegen Produktfälschungen und Urheberrechtsdelikte im Internet erst Ende Jänner unterschrieben.
Was sie da genau unterzeichnet haben, war aber offenbar den wenigsten bewusst. So gab der mittlerweile zurückgetretene rumänische Premierminister Emil Boc wenig später zu, nicht zu wissen, warum sein Land eigentlich unterzeichnet habe. Auch vielen EU-Parlamentariern geht es mittlerweile offenbar zu schnell. Klare Befürworter für Acta sind in Brüssel derzeit schwer zu finden. So ist es derzeit wahrscheinlich, dass der EU-Handelsausschuss den Vertrag dem EuGH zur Prüfung vorlegen wird – damit wäre Acta vorerst aufgeschoben.
Medikamente und Downloads
Aber warum treibt ein spröder juristischer Text zum Kampf gegen Produktfälschungen überhaupt so viele Menschen auf die Straßen? 60.000 waren es kürzlich in Polen. Für den heutigen Samstag sind in ganz Europa Kundgebungen der Acta-Gegner geplant (siehe Infokasten). Der Lärm ist schon allein deshalb nötig, weil sich die Verhandler selbst beileibe nicht darum bemüht haben, ihr Werk an die Öffentlichkeit zu bringen: Seit 2007 feilschten die USA, EU, Japan und weitere Staaten hinter verschlossenen Türen mit Vertretern der Unterhaltungsindustrie um das Regelwerk. Ebenso lautlos nickte der EU-Agrar- und Fischereirat Acta kurz vor Weihnachten ab. Die Verhandlungsprotokolle sind bis heute nicht öffentlich.
Um ein Haar hätte Europa beinahe verschlafen, wie Acta – nach Ansicht seiner Gegner – durch die Hintertür die Zensur ins Internet trägt. Die EU weist diese Kritik zurück. Um diese Sorge der Netzaktivisten besser zu verstehen, hilft es zu wissen, dass Acta so etwas wie die Mutter aller Querschnittsmaterien ist: Lebensgefährliche Medikamentenfälschungen werden in einen Topf geworfen mit Urheberrechtsdelikten im Internet, so die Kritik. Ein Passus, wonach Internetprovider zwangsweise Zensurbehörden für ihre Kunden spielen müssten, wurde erst spät aus dem Vertragswerk gestrichen.
„Netzsperren nicht vom Tisch“
„Netzsperren sind trotzdem nicht vom Tisch“, warnt der fraktionslose EU-Parlamentarier Martin Ehrenhauser. Laut Acta-Artikel 27 sollen die Staaten mit Blick auf Urheberrechtsverletzungen im Internet „Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben“ fördern. In Irland hätten derartige Kooperationen bereits zum Kappen von Anschlüssen geführt, sagt Ehrenhauser. So könnten etwa Filmstudios direkt mit Internetprovidern vereinbaren, dass diese ihren Kunden den Weg zu digitalen Tauschbörsen versperren – egal, was diese dort tauschen möchten. Eine Mussbestimmung ist diese Kooperation in der vorliegenden, abgeschwächten Acta-Variante aber nicht mehr. Das heimische Verkehrsministerium versichert gar, dass es, „was das Internet angeht“, gar keine Änderungen geben werde. Das Justizministerium räumt immerhin ein, dass die Staatsanwaltschaft bei Urheberrechtsverletzungen künftig von sich aus tätig werden müsse.
Über einen Umweg könnte auch die Providerhaftung wieder zum Leben erweckt werden, warnt Markus Stoff von der Initiative für Netzfreiheit. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte die EU eine „Roadmap“ zur Novellierung der Richtlinie zur „Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte“ (IPRED). Im Papier fänden sich genau jene Bestimmungen wieder, die bei Acta rausgeflogen seien, berichtet FM4. Mitgliedsländer wären dann verpflichtet, „Inhaber geistiger Eigentumsrechte und Übermittler“ zur Zusammenarbeit zu zwingen.
Auf einen Blick
Der Aufstand gegen Acta zeigt Wirkung. Auch Deutschland unterzeichnet das strittige Handelsabkommen gegen Produktfälschungen vorerst nicht.
In mehreren Städten Österreichs sind heute Demonstrationen gegen Acta geplant.
Alle Infos unter www.stopp-acta.at.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2012)