Der Kampf um Acta ist nur der Anfang

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Die "Generation Praktikum" politisiert sich. Von den grauen Männern in den grauen Anzügen erwartet sie sich nichts. Stattdessen nimmt sie die Dinge selbst in die Hand - und fordert das Establishment heraus.

Shitstorm: Dieses Wort muss fortan jeder Politiker, jeder Pressesprecher, in Wahrheit sogar jeder kleine Abteilungsleiter als drohende Folge seines politischen Handelns im Kopf haben. Denn der Shitstorm, also das, was man tischfeiner als plötzliche Welle der Empörung im Internet bezeichnen kann, kann sogar beschlussreife internationale Abkommen binnen weniger Tage wegfegen.

Acta, dieser völkerrechtliche Vertrag zum Schutz von geistigem Eigentum und Kampf gegen die Produktpiraterie, ist das erste Opfer dieser digital organisierten Empörung. Dass ein loses Netzwerk von entschlossenen Aktivisten ohne zentrale Koordination, ohne klare Hierarchie und ohne erklärte Anführer eine derartige politische Kraft entfalten konnte, ist mehr als nur ein Betriebsunfall im institutionellen Räderwerk. Es ist eine Wegmarke, über die man in einigen Jahren möglicherweise sagen wird: Damals hat alles angefangen. Damals hat sich die „Generation Praktikum“ politisiert. Damals hat sie ihre Elterngeneration erstmals in die Schranken gewiesen.

Immer diese „Internet-Generation“!

Das ist ironisch. Bis vor Kurzem noch waren es eitle Herrenreiter aus besagter Alterskohorte der Nachkriegsjahrgänge, die von den Zitadellen ihrer Deutungshoheit herab „die Jungen“ in Bausch und Bogen abkanzelten. Diese Herablassung war keine Frage der politischen Geschmacksrichtung: Wer eher dem bürgerlich-konservativen Weltbild zuneigte, warf der Jugend vor, sich nicht gegen die Anhäufung von Staatsschulden zu erheben. Links der Mitte wiederum wurde und wird die stromlinienförmige Anpassungswilligkeit der Jungen bejammert.

Doch während die Meinungsmacher der Jahrgänge 1970 und davor vergebens an die Nachgeborenen appellieren, doch bitte endlich auch brav Politik zu spielen, wenden sich diese immer entschlossener von ihnen ab. Kein Wunder: Wer heute in Europa 25 Jahre alt ist, hat typischerweise von klein auf ein Bildungssystem durchlaufen, dessen Leitmotiv der Erwerb von marktfähigen Fertigkeiten ist. Das ist nicht per se schlecht. Natürlich soll man in der Schule und an der Universität auch auf das Leben in der rauen Arbeitswelt vorbereitet werden. Wenn einem aber trotz all der Zusatzdiplome, Fremdsprachenkenntnisse und Auslandssemester mit Mitte zwanzig nur ein unbezahltes Praktikum winkt, muss man am Leistungsprinzip zu zweifeln beginnen.

Zumal dieselbe „Generation Praktikum“ mit ansehen muss, wie die Politik zu einem Gerangel an den Futtertrögen verkommt. Natürlich gibt es Betrug, Bestechung, Nepotismus, seit sich vor zweieinhalbtausend Jahren ein paar Athener Bürger die Demokratie ausgedacht hatten. Doch was soll besagter 25-Jähriger denken, der von einem Bundeskanzler quasi als Mitläufer aus der „Internet-Generation“ verächtlich gemacht wurde, wenn er später hört, dass bei einem staatsnahen Konzern angeblich um ein paar tausend Euro „Spende“ für das Theaterspiel von dessen Tochter angesucht wurde?

All das nährt seit Jahren die Politikverdrossenheit. Doch das Erstaunliche an der digitalisierten Jugend ist, dass sie sich eben nicht völlig ins Private zurückzieht, wie Jugendforscher oft behaupten. Das Internet gibt seinen Bewohnern die Mittel zu einer politischen Arbeit in die Hand, die uns alle noch zum Staunen bringen wird. Man denke zum Beispiel an das famose Projekt „Adopt a Negotiator“: Hier „adoptieren“ junge Umweltschützer gleichsam ihre Regierungsverhandler bei den Weltklimakonferenzen. Jede Meinungsäußerung der Diplomaten und Beamten wird erfasst und mit ihren offiziellen Verhandlungspositionen verglichen. Das erzeugt die Transparenz, die Demokratie benötigt, um ihrem Anspruch als Herrschaft des Volkes gerecht zu werden.

Wenn Gauck zum Stasi-Pfaffen wird

Ist das, was die jungen „digital natives“, diese Eingeborenen des Internets, da in Händen haben, also der Schlüssel zu einer besseren, gerechteren Zukunft? Nicht vorbehaltlos. Mit der Fähigkeit, im Internet Volkes Zorn zu kanalisieren und die Politik zu beeinflussen, erwächst auch Verantwortung. Da hapert es noch oft. Es ist zum Beispiel erstaunlich zu beobachten, wie die teilweise widerwärtigen Anfeindungen gegen den designierten deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, die aus dem Dunstkreis der Linkspartei und anderen Versatzstücken der untergegangenen DDR hochwabern, kritiklos übernommen werden. Schnell wird da aus dem engagierten Bürgerrechtler ein Pfaffe in Diensten der Stasi, der den Überwachungsstaat super und Moslems mies findet.

Zudem ist den digitalen Aktivisten bisweilen ein unangenehmer Dogmatismus zu eigen. Wenn etwa die Piratenpartei jegliche Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung vorneweg ablehnt. Oder wenn die Hackergruppe Anonymous die Homepage des griechischen Justizministeriums mit der Begründung lahmlegt, dass drei bei den jüngsten Athener Unruhen verhaftete Jugendliche zweifelsfrei unschuldig seien.

Es wäre schade, würde das Gute, das der Demokratie aus dieser digitalisierten Politisierung erwächst, durch solche Entgleisungen beschädigt. Zumal sie von vielen klugen Köpfen getragen wird, die wissen, dass Demokratie auch im 21.Jahrhundert angewandte Kompromissbereitschaft ist. „Welcher Satzungsnerd kann mir morgen mal helfen, 'ne Anregung für die ständige Mitgliederversammlung zu formulieren?“, twitterte Marina Weisband, eine führende Frau in der Piratenpartei, neulich. Freiwillige bitte vor. Sie können Geschichte machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2012)

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