Internet-Zensur: Google sprengt die Große Mauer

Flowers put by Chinese Google users are seen on its sign outside the Google China headquarters in Bei
Flowers put by Chinese Google users are seen on its sign outside the Google China headquarters in Bei(c) AP (Vincent Thian)
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Der US-Konzern will sich nicht länger eine Selbstzensur unterwerfen und droht mit einem Rückzug aus China. Ausgangspunkt war ein Hacker-Angriff auf E-Mail-Konten.

Peking war gestern Schauplatz einer Internet-Sensation – zumindest für einige Stunden: Wer sich am Vormittag online über politisch heikle Themen wie das Tiananmen-Massaker informieren wollte, konnte mit dem Suchdienst Google ohne Mühe Fotos vom blutigen Einsatz der Armee im Juni 1989 finden. Sonst sind diese Informationen gesperrt. Doch die kurze Morgenröte verblasste so schnell wie sie gekommen war: Gegen Mittag waren die Zensoren aufgewacht. Die unter den 338 Millionen chinesischen Internet-Nutzern verhasste Botschaft „ . . . kann die Seite nicht öffnen“ erschien wieder auf den Bildschirmen der Computer.

Inhaltsverzeichnis

Seite 1: Google sprengt die Große Mauer
Seite 2: Googles Konkurrenz fügt sich Chinas Zensur

Den kurzen Blick über die „Great Firewall“ („Große Feuermauer“) der Zensur erlaubte ein Ereignis, dessen Folgen für den US-Online-Giganten Google noch nicht abzuschätzen sind; es löste international eine neue Debatte über Informationsfreiheit in China aus. In einer bemerkenswert offen formulierten Erklärung hatte die US-Suchmaschine angekündigt, sie „erwäge“ einen kompletten Rückzug aus China. Gleichzeitig setzte Google die Selbstzensur außer Kraft, mit der Google.cn bislang auf Wunsch der chinesischen Behörden unliebsame Informationen gesperrt hatte.

Unter der Überschrift „Ein neuer Umgang mit China“ berichtete Google-Chefjurist David Drummond im Firmenblog über eine Serie von Hacker-Attacken: „Mitte Dezember haben wir einen sehr ausgeklügelten und gezielten Angriff von China auf die Infrastruktur unseres Unternehmens entdeckt, der zu einem Diebstahl von Googles geistigem Eigentum führte.“ Das Hauptziel der Angreifer sei offenbar der Zugang zu den Gmail-Adressen von chinesischen Bürgerrechtlern gewesen, schrieb Drummond. Unter diesen Umständen habe die Firma entschieden, „dass wir nicht länger bereit sind, unsere Suchergebnisse auf Google.cn zu zensieren“.

Der Konzern wolle nun mit den Behörden klären, ob die lokale Google-Suchmaschine fortan frei zugänglich gemacht werden könne. Drummond: „Wir sind uns bewusst, dass dies bedeuten kann, dass wir die Website Google.cn und möglicherweise auch unsere Büros in China schließen müssen.“

Facebook und Twitter gesperrt

Der Google-Konflikt mit der chinesischen Regierung kommt zu einer Zeit, in der vor allem Bürgerrechtler eine deutliche Vereisung des politischen Klimas spüren. Erst vor wenigen Wochen ist der Ehrenpräsident des unabhängigen PEN-Schriftstellerverbands, Liu Xiaobo, wegen des im Internet verbreiteten Reformappells „Charta 08“ und sechs weiterer Internet-Aufsätze zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Mit immer neuen Kampagnen, die sich offiziell vor allem gegen Pornografie und kriminelle Machenschaften im Cyberspace richteten, wurden in den vergangenen Monaten Tausende Websites geschlossen. Facebook und Twitter sind ebenfalls gesperrt.

Chinas kommunistische Partei hat das Internet von Anfang an als Chance und Gefahr zugleich begriffen: Um ihr Land so schnell wie möglich zu modernisieren, neue Industrien anzusiedeln und die Kommunikation über tausende Kilometer hinweg zu vereinfachen, ließ sie die entferntesten Gegenden verkabeln und mit Sendemasten ausrüsten. Breitband-Anschlüsse  sind selbst in kleinen Ortschaften die Regel.
Zugleich entwickelte Peking ein komplexes System der Zensur: Dazu gehören immer wirksamere Filter, die auch ausländische Firmen wie das US-Unternehmen Cisco lieferten. Sie tasten die Internet-Verbindungen zum Ausland nach unliebsamen Informationen ab und blockieren Kontakte zu unerwünschten Internet-Adressen weltweit.

Viel effektiver als diese technischen Hilfsmittel ist jedoch der Zwang zur Selbstzensur, mit dem jeder Internet-Provider und jede Online-Firma in China konfrontiert ist: Ihre Manager erhalten von den Sicherheitsbehörden und den Propaganda-Abteilungen der KP allwöchentlich Listen mit Themen und Online-Adressen, die blockiert werden müssen. Wer sich an diese Vorgaben nicht hält, muss mit saftigen Geldstrafen rechnen – oder sogar mit Lizenzentzug und damit dem Verlust des gesamten Geschäftes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.1.2010")

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