Graphen

Graphen – nie gehört? Die EU steckt gerade eine Milliarde Euro in die Erforschung des Wunderstoffs.

Wenn jemand den Bewohnern dieses Planeten vor, sagen wir mal: zweihundertfünfzig Jahren erklärt hätte, wir würden einst zum Mond fliegen, mit handlichen Metall-Silizium-Glas-Riegeln miteinander über Kontinente hinweg sprechen, Routen planen oder auch nur bewegte Bilder ansehen, Licht und Wärme aus für das freie Auge unsichtbaren Teilchen gewinnen oder menschliche Lebewesen „klonen“, also gottgleich reproduzieren können – er oder sie wäre für verrückt erklärt worden. Jules Verne, H. G. Wells und Mary Shelley („Frankenstein“) waren noch nicht geboren. Und Science-Fiction als Literaturgattung eine Utopie.

In Lauf eines Vierteljahrtausends aber haben sich die kühnsten Visionen als Realität entpuppt. Dabei beschleunigt sich der Fortschritt – als Summe der Erkundungen und Entwicklungen zuvorderst technologischer Natur – mehr und mehr. Viele Forscher meinen: exponentiell. In einer steil nach oben ansteigenden Kurve also, was die Quantität und Qualität der Errungenschaften betrifft. Künstliche Gliedmaßen? Roboter im Haushalt? Selbst fahrende Autos? Oder auch nur ein Autolack, der Schmutz abperlen lässt wie Regenwasser? Alles schon da. Quasi längst Schnee von gestern. Wir nehmen selbst die radikalsten Veränderungen kaum mehr wahr, weil sie so rasant Einzug in den Alltag halten.

Haben Sie schon einmal von Graphen gehört oder gelesen? Ich muss gestehen: ich auch nicht (und das, obwohl ich mich für einen relativ aufmerksamen Beobachter der Weltläufte halte). Bis ich diese Woche das Nachrichtenmagazin „Profil“ aufschlug und bald in einem ebenso informativen wie aufputschenden Artikel versank. Graphen, stand da zu lesen, sei ein Wunderstoff. Ein Material, das aus gerade mal einer Schicht wabenförmig angeordneter Kohlenstoffatome bestünde, also faktisch zweidimensional sei. Dabei 125-mal zugfester als Stahl, extrem leitfähig und dehnbar, säurefest, temperaturbeständig und härter als Diamant. Graphen, so der Nobelpreisträger Konstantin Novoselov, könne, nein: werde sowohl die Elektronik, Fotovoltaik als auch die Biotechnologie revolutionieren. Also unser Leben umkrempeln.

Das nenn ich mal eine Ansage! Graphen steckt übrigens schon in Handy-Touchscreens drin. Ich muss gleich mal per Suchmaschine nachfragen, ob das Zeug schon in einem Science-Fiction-Roman erwähnt wurde.

Mehr unter: groebchen.wordpress.com/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2014)

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