Web 2.0.

Digitales Vermummungsverbot? Warum ich unter meinem Namen gegen »Klarnamen für alle« plädiere.

Es gibt Begriffe, die eine Debatte annähernd verunmöglichen. Sie werden zumeist eingebracht, wenn einem Kontrahenten die Argumente ausgehen. Und pure Ideologie ins Spiel kommt. Zu diesen rhetorischen Keulen zählen Zuweisungen à la „Gutmensch“ oder „Neiddebatte“. Neuerdings werden sie durch virulente Schlagwörter wie „Shitstorm“ und „Hasspostings“ ergänzt.

Besonders Letztere haben es mir angetan. Denn seit einigen Wochen tobt in der Aufmerksamkeitsarena – sowohl in den alten „Holzmedien“ wie auch in den Sphären des Internets – eine Diskussion, die eigentlich keine ist. Sondern eine Kampagne. Geführt wird sie von professionellen Meinungs- und Stimmungsmachern, die seit jeher nicht schlecht daran verdienen, exakt das zu tun, was sie tun. Seit einigen Jahren aber sehen diese Herren – denn es sind fast ausschließlich Vertreter der männlichen Spezies – ihr Business-Modell bedroht. In den Online-Foren österreichischer Medien und auf Facebook und Twitter plappert die p.t. Leserschaft heutzutage munter selbst drauflos. Und das, Teufel auch!, unter mehr oder weniger lustigen Pseudonymen. De facto (fast) unkontrollierbar.

Dass dabei Krethi und Plethi oft zu derben Prädikaten neigen, kann nicht bestritten werden. Noch weniger, dass die Politiker und Führungskräfte dieses Landes zumeist in der öffentlichen Beurteilung nicht gut abschneiden. Zu Recht. Letzteres war und ist auch meine Meinung. Sie ist frei. Und ich äußere sie – meinungsmutig? – unter meinem Namen. Aber nichts liegt mir ferner, als nicht auch die Ansichten anderer, die sie nicht unter ihrem „Klarnamen“ veröffentlichen (aus nachvollziehbaren Gründen), kennenlernen zu wollen. Man hat in früheren politischen Debatten oft von der „Hoheit am Wirtshaustisch“ gesprochen. Das Netz kennt diese Hoheit nicht (sieht man vom eklatanten Webfehler der totalen Überwachung ab). Das mag unangenehm sein. Und da und dort Unmut hervorrufen. Wie wichtig aber diese gesellschaftlich breit genutzten Foren – Zyniker würden ihnen allein die Rolle eines Überdruckventils zuschreiben – sind, merken wir dieser Tage einmal mehr: Volksvertreter im Parlament plädieren ungeniert für verschärfte Geheimhaltungsregeln gegenüber ihrem Souverän, dem Volk. Was ich davon halte, äußere ich auf Nachfrage – aber eben auch ungefragt – gern. Jederzeit. Und allerorts.

Mehr unter: groebchen.wordpress.com
Diepresse.com/Spielzeug

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.