Volle Kraft voraus durch die Technikwelt

Netz 2.0. Die Netzneutralität ist praktisch Geschichte. Oder: Wie uns die Politik fortwährend für dumm verkauft.

Wissen Sie, wer Paul Rübig ist? Ich bis vor Kurzem auch nicht. Auf der löblichen Internetplattform meineabgeordneten.at ist nicht nur nachzulesen, dass der gelernte Schmied eine Privatstiftung einrichtete, diverse universitäre Lehraufträge hatte, an allerlei Firmen (Wassertechnologie, Wärmebehandlung etc.) beteiligt ist und lange Jahre Vizepräsident der Paneuropabewegung war, sondern auch seine aktuelle Funktion: Rübig ist österreichischer EU-Abgeordneter. Und zugleich Schatzmeister der ÖVP-Delegation im EU-Parlament. Nun gut, werden Sie sagen, ein fleißiger Mann – aber was kümmert's mich? Die Antwort betrifft uns leider bald alle: Rübig zählt zu jenen Entscheidungsträgern, die die Abschaffung der Netzneutralität vorangetrieben und mitbeschlossen haben. Dieses harmlose Wort steht für ein Grundprinzip des freien Internets: die gleichberechtigte Übertragung von Daten unabhängig von Sender, Empfänger, Inhalt und Anwendung. Experten, darunter WWW-Begründer Tim Berners-Lee, warnen seit Jahren vor der Opferung dieses Grundrechts des digitalen Zeitalters auf dem Altar kommerzieller Interessen.

Forsche Politiker wie Kommerzialrat Rübig ficht das nicht an, im Gegenteil. Er überzeugte als „Telekom-Sprecher“ die ÖVP-Mitstreiter im EU-Parlament, gegen Roaming-Gebühren und für eine „Verordnung über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet“, die er mitformuliert hat, zu stimmen. Kenner der Materie orten darin einen Kuhhandel mit unabsehbaren Folgen. Der Treppenwitz folgt aber erst. Da diese Vorgänge doch einige kritische Reaktionen zeitigten, erklärt uns der EU-Parlamentarier auf seiner eigenen Homepage, was Sache ist. „Wenn alle anfangen, ,House of Cards‘ hinunterzuladen“, so Rübig, „darf das nicht dazu führen, dass der normale Surfer im Stau steht.“ Man ahnt es: Die Netzneutralität sei nicht gefährdet, sondern – im Gegenteil – erst durch wackere Ritter wie ihn tatkräftig und dauerhaft geschützt. Netzneutralität und Verkehrsregeln für spezielle Dienste seien ja kein Widerspruch. Was immer mit den Spezialdiensten gemeint sein mag. Wie zum Hohn erläuterte Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG, was er unter der Rübig-Doktrin versteht: „Gesicherte Qualität für ein paar Euro mehr.“ Wer nicht in die Tasche greifen mag, darf sich schon mal an die Kriechspur gewöhnen.

Mehr unter http://groebchen.wordpress.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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