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Wikipedia gilt als Online- Wissensspeicher der Menschheit. Für Einzelne ist das eine latente Drohung.

Liebe/r Leser/in, gleich zur Sache“, hebt die Mitteilung an, die einem beim Öffnen der Seite förmlich anspringt. „Heute bitten wir Sie, Wikipedia zu helfen. Um unsere Unabhängigkeit zu sichern, werden wir nie Werbung schalten. Wir sind ganz auf Spenden angewiesen.“ Nun ja: Deklarierte Werbung zu verbreiten muss nicht zwangsläufig mit Abhängigkeit Hand in Hand gehen, aber die „kleine gemeinnützige Organisation“ (Selbstbeschreibung) namens Wikipedia trägt natürlich schwer an den Kosten einer der meistbesuchten Internetadressen weltweit. Ein kleiner Obolus seitens jener, die sich seit Jahren den Kauf eines mehrbändigen Universallexikons ersparen – vom legendären Brockhaus oder der Encyclopedia Britannica ganz zu schweigen – erscheint durchaus angebracht. Leider leben wir in Zeiten, in denen solche nonkommerziellen Einrichtungen als gottgegebene Grundmöblierung der eigenen, bequemen Digitalexistenz gesehen werden. Zahlen mögen gefälligst andere. Dass redaktioneller Spürsinn abseits populärer Themen, für die sich Hunderte schreibfreudige Freiwillige (darunter mindestens zwei Drittel selbst ernannte Experten) finden, Kosten verursacht, wird gern verdrängt. Und dann wäre da noch das Kapitel Qualitätssicherung. Bei über 37 Millionen Artikeln und Einträgen in annähernd 300 Sprachen ist das anno 2001 gegründete Online-Lexikon auch hier auf die rege Zuarbeit seiner administrativen Kern-Crew angewiesen. Dass die komplexen Spielregeln für kollaboratives Schreiben – die sich hinter vier einfachen Grundsätzen (enzyklopädischer Zugang, Neutralität, strikte Beachtung des Urheberrechts und der „Wikiquette“ genannten Hausordnung) – nicht immer zu sinnvollen Resultaten führen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Leider. Fragen Sie etwa den Schauspieler Robert Stadlober! Der ist nämlich – wie er neulich ausführlich auf FM4 erzählte – gar nicht glücklich mit dem ihm zugedachten Wikipedia-Eintrag. Mehr als das: Er fühlt sich, als hätte er jegliche Verfügungsgewalt über seine eigene quasi amtliche Online-Biografie verloren. Egal, wie oft er Detailfehler ändert – sie werden notorisch zurückgeändert. Egal, wie oft er sich darüber beschwert – Wikipedia zuckt mit den Achseln. Das Salzamt ist kooperationsfreudiger. Stadlober hat es mehr oder minder aufgegeben, in Wikipedia den letztgültigen Wissensspeicher der Menschheit zu sehen. Immerhin kann er jetzt als kleine Anmerkung seinerseits diese Kolumne verlinken.

Mehr unter http://groebchen.wordpress.com

Diepresse.com/Spielzeug

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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