Maschinenraum: Vorratsdatenspeicherung

Die "Vorratsdatenspeicherung" eint russische Diktatoren und heimische Parlamentarier.

Zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“ habe ich mich bislang nicht geäußert. Darüber schreibt's sich nicht so locker und flockig wie über ein neues Produkt. Es geht um bürgerliche Grundrechte. Und die betreffen nun einmal jede(n) von uns. Höchstpersönlich.

Vor wenigen Wochen beschloss man im Parlament – auf Druck der EU – eine Bestimmung, die Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, alle Verbindungsdaten für sechs Monate zu speichern. Damit wird der „gläserne Mensch“, dessen Intimsphäre für jeden Mistelbacher Polizeibeamten einsichtig ist, Realität. Denn in Verbindung mit entsprechenden Ermächtigungsgesetzen, die zum Beispiel das Abhören von Telefonen oder Abfragen von Daten auch ohne „Anfangsverdacht“ und Genehmigung eines Richters gestatten, sind dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Warnungen vor dieser Entwicklung hat sogar der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes (!) geliefert, der die neuen Regulative als „nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch mit ernsten Gefahren für die Privatsphäre, Meinungs- und Pressefreiheit der Bürger insgesamt verbunden“ sieht. Trotzdem besiegelten SPÖ und ÖVP das Gesetz. Man müsste jeden einzelnen Abgeordneten der Parteien fragen warum. Paranoia? Terrorangst? Devotion gegen die EU? Sehnsucht nach dem „Großen Bruder?“

Keine vier Wochen später werden in Weißrussland – das ist keine Tausend Kilometer entfernt – Oppositionelle abgestraft, die gegen den Präsidenten Alexander Lukaschenko („Europas letzten Diktator“, so „Die Presse“) protestiert haben. Und dabei den Fehler gemacht haben, das Mobiltelefon eingeschaltet zu lassen. Die Polizeibehörde wertete die Daten aus und verhaftete Hunderte Aktivisten. Auch solche, die sich nur zufällig auf den Schauplatz des Geschehens verirrt hatten. Personen- und Rufdaten kamen von der Telekom Austria, die in Weißrussland über ihre Tochterfirma Velcom 4,4Millionen Kunden betreut. Marktanteil: knapp 42Prozent. Größter Einzelaktionär: der Staat Österreich. Das ist eine unfassbare Schande.

Natürlich hat Velcom die Daten nicht absichtsvoll oder auf Nachfrage zur Verfügung gestellt. Man muss einfach nur eine „technische Schnittstelle“ zu den Handlangern des Regimes bereitstellen. Von Gesetzes wegen. Das ist in Österreich nun nicht anders. Grundsätzlich. Mit Glück eventuell noch graduell.

Mehr unter: groebchen.wordpress.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2011)

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