Nokia-Interview: "Der Zauber von Apple ist gebrochen"

NokiaInterview Zauber Apple gebrochen
NokiaInterview Zauber Apple gebrochen(c) REUTERS (� Brendan McDermid / Reuters)
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Ex-Österreich-Chef Giesswein findet im DiePresse.com-Interview, dass Apple tolle Geräte macht, die innovativeren Ideen heuer aber von Nokia kamen.

Martin Giesswein hat bis Ende September das Zentral- und Osteuropa-Hauptquartier von Nokia in Wien geleitet. Der Standort wurde jetzt verlegt, zahlreiche Mitarbeiter entlassen. Im Interview mit DiePresse.com zieht Giesswein Bilanz und erklärt, warum Nokia seiner Meinung nach heuer Apple als Innovationsführer abgelöst hat. 

Seit Anfang Oktober sind Sie Marketingleiter von Nokia Zentral- und Osteuropa in Budapest. War es ein schwerer Abschied von Nokia Österreich?

Martin Giesswein: Ich bin es gewohnt international zu arbeiten. Ich war vor Österreich zwei Jahre in Deutschland und habe in der letzten Zeit mehrere Länder betreut. Da ist es oft so, dass man das berufliche Zuhause im Auto und im Flieger hat. 

Wie lautet Ihre Bilanz als Österreich-Chef von Nokia?

Die internationale Entwicklung von Nokia haben wir selbstverständlich auch in Österreich durchgemacht. Was mir sehr positiv in Erinnerung bleibt ist die enge und starke Verbindung mit den Mobilfunkbetreibern. Da gab und gibt es sehr viel Unterstützung und positives Feedback von den Geschäftsführern und Vorständen der Mobilfunkbetreiber. Die sind sehr froh über die Partnerschaft mit Microsoft und die Alternative zu diesem Duopol von Apple-iPhone und Google-Samsung. Es ist gut, dass diese großen Konglomerate herausgefordert werden. Was auch sehr positiv zurückbleibt ist, dass wir (Österreicher, Anm.) eine starke Zuneigung zu unserer Marke haben. 

Wieviele Lumia-Smartphones hat Nokia in Österreich verkauft?

Das darf ich nicht sagen. 

Was bleibt von Nokia in Österreich?

Es gibt eine Veränderung in Wien, es gibt aber keine Veränderung von Nokia Österreich. Vertrieb, Marketing und Kundensupport bleiben bestehen. Was sich ändert ist, dass das regionale Hauptquartier nach Budapest verlegt wird. 

Wie ist es dazu gekommen?

In einem internationalen Unternehmen gibt es viele Änderungen, auch bei regionalen Knotenpunkten. Das gibt es bei sehr vielen Unternehmen. 

Warum kam es zu dieser konkreten Verlegung des regionalen Knotenpunktes?

Die Länder in Europa wurden so eingeteilt, dass Österreich zu einer Region gehört, die sich mehr nach Nord-Westen orientiert. In dieser Region gibt es eine sehr viel höhere Smartphone-Penetrationsrate als in den Ländern in Zentral- und Osteuropa. Hier sollte man vertriebs- und marketingtechnisch anders arbeiten um diese unterschiedliche Marktsituatiopn zu berücksichtigen. 

Was passiert mit den Mitarbeitern in Österreich?

Wir haben leider etliche Veränderungen gehabt. Es gibt Mitarbeiter wie mich, die in die neue Region wechseln. Es hat aber leider Gottes auch Situationen gegeben, wo sich die Wege zwischen den Mitarbeitern und Nokia getrennt haben. Das ist eine traurige Situation, die aber sein musste. 

Wieviele Mitarbeiter haben ihren Job verloren? 

Die Presse

Zur Person

Mitarbeiterzahlen kommunizieren wir nicht. Martin-Hannes Giesswein war Country Manager von Nokia Österreich und seit Jänner 2012 General Manager von Nokia in Österreich, Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina. Mit Oktober wechselte er in die neue Zentral- und Osteuropa-Zentrale in Budapest und übernimmt dort die Marketingleitung.

Wie sieht Ihre neue Aufgabe in Budapest aus?

Ich bin zuständig für das Marketing in Zentral- und Osteuropa. Das umfasst 19 Länder von Polen bis nach Israel. Wir haben in Zentral- und Osteuropa eine sehr starke Stellung im Markt. Wir sind sehr engagiert im Bereich Social Media. Ich finde es schön, dass es um die neuen Lumia-Smartphones eine so große Diskussion gibt. Wir haben gezeigt, dass nicht jedes Smartphone schwarz sein muss. Wir können uns wieder Farben erlauben. Wir ermöglichen den Konsumenten, sich zu differenzieren. 

Sehen Sie die bunten Farben der Lumia-Smartphones als das Asset gegenüber dem iPhone oder anderen Smartphones?

Das ist das, was sehr viel diskutiert wird. Auch unsere neue Technologie zum Wireless Charging (kabelloses Aufladen des Akkus, Anm.) wird sehr gut aufgenommen. Das geht wie ein Raunen durch die Industrie. Ich darf ja bereits den Prototypen ausprobieren und muss sagen, das ist schon sehr komfortabel. Bei vielen Smartphones kommt man ja mit dem Akku nicht mehr über den Tag. Auch bei der Verarbeitungsqualität gibt es ein ganz starkes Vertrauen in Nokia. Auf diese Wahrnehmung der Marke dürfen wir aufbauen. 

Wie groß ist Nokia in Zentral- und Osteuropa?

Wir dürfen keine regionalen Zahlen heraus geben. Wir wollen der Größte sein in der Empfehlung von einem Menschen zum anderen. Wir wollen in den Herzen der Menschen sein. 

Letztes Jahr haben Sie mir in einem Interview gesagt, 2012 wird das Jahr von Nokia. Der Verlust von 1,4 Milliarden Euro alleine im zweiten Quartal zeichnet ein anderes Bild. Was ist schief gelaufen?

Das Jahr 2012 war erfolgreich in der internen Transformation. Wir haben uns eingestellt auf unsere Rolle als Herausforderer. 

Das haben Sie damals auch von dem Jahr 2011 gesagt.

Wir haben das komplettiert. Das war sehr wichtig, um richtig am Markt aufzutreten. Außerdem haben wir eine ganze Reihe Windows Phones auf den Markt gebracht - in allen Preiskategorien. Und 2012 haben wir auch das Bewusstsein geschaffen, dass es eine Alternative gibt. Wo wir noch arbeiten müssen, ist bei den Kosten. Das ist etwas, das länger dauert, als wir es uns gewünscht haben. Da sind wir noch nicht dort, wo wir sein wollten - im Sinne unserer Profitabilität. Da gibt es viel aufzuholen. Da sind aber unsere Ankündigungen der neuen Lumia- und Asha-Geräte genau das Richtige. Eine Transformation ist etwas, das ein bisschen länger dauern kann. Apple hat 2007 etwas gebracht, was nicht erwartet wurde. Wir befinden uns jetzt an dem Punkt, wo der nächste Schritt im mobilen Internet folgt.  Google ist mit Suche und Werbung das "Was?", Facebook und Konsorten belegen sehr stark den Bereich "Wer?". Der nächste wichtige Schritt ist das "Wo?". Da haben wir 2012 massive Fortschritte gemacht. Vier von fünf Auto-Navigationen werden mit Technologien bestritten, die von Nokia kommt. Wir haben sehr viel Zuspruch aus der Industrie bekommen, von BMW, VW, Hyundai, Garmin, Oracle, Amazon und Groupon, die alle unsere Navigationskompetenz schätzen.

Auf welche Bereiche konzentriert sich Nokia neben diesem "Wo"?

Im Imaging-Bereich ist 2012 ebenfalls mehr passiert, als man erwartet hätte. Das hat begonnen mit dem Nokia 808 PureView mit einer Technologie, die jetzt in die Lumia-Klasse einzieht und den gesamten Markt revolutioniert. Die Innovation in diesem Bereich ist von Nokia ausgegangen. Das macht mich sehr zuversichtlich. Wir haben bei den wirtschaftlichen Kennzahlen nach wie vor großen Arbeitsbedarf. Aber bei Innovationen sind wir aufgebrochen und haben sehr viele positive Rückmeldungen bekommen.

Warum schlägt sich das nicht in den Verkaufszahlen nieder?

Es schlägt sich in den Verkaufszahlen nieder. Dass das schwierig ist und Zeit dauert, ist unbestritten. Sprechen wir über Zeit in der Mobilfunkbranche oder in der Internetbranche. Wie lange hat ein iOS-Betriebssystem oder ein Android-Betriebssystem gebraucht, um Marktrelevanz zu erreichen? Je nachdem wie man misst, hat iOS ungefähr zwei Jahre gebraucht, Android sogar rund 33 Monate. Das heißt, wir sind gerade in der Phase, in der wir noch besser werden müssen, noch besser erklären müssen. Wie lange dauert es, dass sich der Markt einmal um 180 Grad dreht, also dass ein neuer Spieler der Marktführer wird? Ich glaube, dass ein Markt wie Telefonie/Internet dafür drei Jahre braucht. Wir sehen heute, dass der Zauber von Apple gebrochen ist. Mit der Vorstellung des iPhone 5 - auch wenn das am Anfang gute Verkaufszahlen sind, tolles Gerät, bravo - ist der Zauber gebrochen, weil die Innovation nicht mehr da ist. Wenn Apple jetzt wirklich ein kleineres iPad vorstellt, sage ich auch "toll", aber das was wir an Innovationskraft von diesem Mitbewerber kennen, ist weg. Der Zauber ist gebrochen. Wenn man sich anschaut, wie Samsung agiert, dann ist das ein tolles und erfolgreiches Unternehmen. Der CEO hat aber gesagt, man müsse sich bei Software mehr überlegen - da lese ich heraus, dass Samsung begriffen hat, dass ihr Erfolg stark von dem guten Willen von Google abhängt. Samsung hat ein Problem, wenn Google mit Android etwas anderes vorhat und sie nicht eine eigene Lösung oder einen starken Partner wie wir haben. 

Ist es eine gute Strategie, mit dem Lumia 920 das Weihnachtsgeschäft zu verpassen?

Das Weihnachtsgeschäft ist natürlich sehr wichtig für den Markt. In Österreich wird Weihnachten mit Tarifen Mitte Oktober ausgerufen und endet erst Mitte Februar. Es ist also durchaus eine längere Phase. Hier gilt es mit allen Geräten und den richtigen Preisen präsent zu sein. Wir haben ja nicht nur ein Gerät. 

Nokia hat sich mit der Microsoft-Kooperation relativ spät in das Smartphone-Rennen mit Apple und Samsung gebracht. Besteht diese Gefahr jetzt auch am Tablet-Markt?

Bei Smartphones haben wir schon mit dem Communicator angefangen vor sehr vielen Jahren. Dann haben wir Smartphone und Kamera in einem N95 verbunden, dann waren wir im Symbian-Bereich mit neuen Herausforderungen wie Touch beschäftigt. Dann war es ein klarer und richtiger Schritt, sich mit jemandem zusammen zu tun, der nicht nur eine mobile Software bietet, sondern ein ganzes Ökosystem, das mit unserem zusammenpasst. Dann gilt es, möglicht schnell am Markt zu sein - das Lumia 800 war innerhalb von sechs Monaten am Markt. 

Im Vergleich zur Konkurrenz war das sehr spät. Wiederholt sich das bei den Tablets?

Schauen wir uns den Tablet-Markt an. Der wird zu einem hohen Prozentsatz vom iPad beherrscht. Bisher waren alle anderen im Bereich Android nicht über-erfolgreich. Wenn man in diesem interessanten Markt tätig ist, muss man etwas bieten, das hervorragend ist - gleichgültig in welcher Kategorie. Das ist ein Feld, das wir uns anschauen und wo wir zum richtigen Zeitpunkt versuchen, ein Angebot zu machen. Ich glaube, dass dieser Markt jetzt gerade erste aufwacht. Der Markt wird jetzt ein neuer. Es geht nicht mehr darum, ein iPad zu haben, sondern es geht darum, dass diese Geräte-Kategorie in unserem Leben eine neue Rolle einnimmt. Das wird von Windows 8 aufgebrochen. Der Markt wird von uns sehr genau beobachtet. 

(sg)

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