Handy-Abhören für jedermann ab 35 Euro

Wer hört mit? Fast jeder, wenn er will. Experten warnen vor gravierenden Sicherheitslücken.
Wer hört mit? Fast jeder, wenn er will. Experten warnen vor gravierenden Sicherheitslücken.(c) Reuters (DANISH SIDDIQUI)
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Vom Überwachen der Ehefrau bis hin zur Spionage: Experten zeigen massive Sicherheitslücken, die mit wenig Geschick und Geld von jedermann angreifbar sind.

[Wien] Damals, als Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der Lobbyist Walter Meischberger und der Immobilienmakler Ernst Karl Plech ihre inzwischen legendären Telefonate führten, wähnten sie sich sicher. Der Einsatz nicht registrierter Prepaid-Handys und die Verschlüsselung des GSM-Mobilfunks sollten reichen. Tat es aber nicht. Die Polizei stand mit einem 500.000 Euro teuren Spezialgerät vor der Tür und hörte mit.

Das war im Februar 2010. Heute, eineinhalb Jahre später, ist so etwas auch für interessierte Laien möglich, bald vermutlich für jedermann. So lautet die Botschaft einer Fachtagung zum Thema Sicherheit in Kommunikations- und Informationstechnologie in Wien. Veranstalter ist das Abwehramt, der Inlandsnachrichtendienst des Bundesheeres, der im Zuge des Treffens Spitzenkräfte aus den Bereichen Wirtschaft, Exekutive und Militär zum Wissensaustausch über neue Entwicklungen und Bedrohungen lud.

Software macht Handy zur Wanze

Zentrale Erkenntnis: Die rasend schnell voranschreitende Verbreitung von Smartphones wird zur Bedrohung für Staat, Wirtschaft und jeden Bürger. Ein Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) drückt es so aus: „Wer Zugriff auf das Smartphone eines Dritten erlangt, übernimmt dessen Leben.“ Die Geräte „wissen“ alles, weil sie buchstäblich und immer hautnah an ihren Besitzern sind, speichern Bewegungsprofile, E-Mails, SMS, Kommunikationsverhalten, Termine, Bekanntenkreis, Fotos, Videos und noch eine ganze Menge mehr.

Mehrere dubiose Entwickler – oftmals aus dem fernen Osten – bieten inzwischen ganze Spionagepakete zum Diskontpreis an. 24-Stunden-Support via E-Mail inklusive. Für 59,95 US-Dollar (44 Euro) erhält man etwa die Software „Cell Spy“. Sie muss per Datenkabel, oder besser unbemerkt via WLAN, am Telefon installiert werden. Ob iPhone, Android-Betriebssystem oder Blackberry spielt dabei keine Rolle. Danach besitzt man Fernzugriff auf Kontaktlisten, SMS-Speicher und die Telefonfunktion. Im „Presse“-Test funktionierte auch das wohl bedenklichste Feature auf Anhieb: Ein Anruf beim infizierten Handy verwandelt dieses in eine mobile Wanze. Ohne dass der Betroffene das Gespräch annehmen muss, ohne jegliche Reaktion am Display, können eine Verbindung aufgebaut und das Mikrofon aktiviert werden. So ist es möglich, über ein gekapertes Mobiltelefon vom anderen Ende der Welt aus die Ehefrau zu belauschen. Oder jemand anderen.

„Haupteinsatzzweck solcher Methoden ist ohne Zweifel Industriespionage“, sagt Marco Di Filippo vom schweizerischen Sicherheitsdienstleister Compass, der Firmen dabei berät, derartige Angriffe zu erkennen. Eine Studie des BVT und der FH Campus Wien bestätigt das. Die Autoren gehen davon aus, dass fast jedes dritte Unternehmen bereits Opfer eines „ungewollten Informationsabflusses“ wurde. Di Filippo: „Dabei hat das Abhören von Handys das Potenzial, zum Volkssport zu werden.“

Selbstbau-Abhörsatz

Für interessierte Laien ist das schon heute keine Schwierigkeit mehr. In diesen Kreisen einen fast legendären Ruf hat ein altes Handy des Herstellers Motorola. Das Modell C123 ist gebraucht ab etwa zehn Euro zu haben. Kauft man für weitere 25 Euro ein passendes Datenkabel und lädt die kostenfreie Software „OsmocomBB“ aus dem Internet, sind alle Handy-Telefonate, die aktuell über denselben Sendemasten laufen, mitzuhören. Einziger „Nachteil“: Das gezielte Abhören bestimmter Anschlussnummern ist nicht möglich.

Hierfür gibt es andere Methoden. Das – ebenfalls freie – Programm OpenBTS etwa, mit dem Interessierte ihren eigenen GSM-Sender betreiben können, den sie dann – wie einst die Polizei bei Karl-Heinz Grasser – in der Nähe des Wohnorts ihres Opfers aufstellen. Die nötige Hardware kostet als Selbstbausatz und je nach Qualität zwischen 150 und 900 Euro. Für den Zusammenbau sind gutes Englisch (Anleitung) und ein wenig Geschick am Lötkolben nötig.

Der Einsatz dieser Methoden ist strafbar. Die Berichte von BVT und den Heeresdiensten zeigen jedoch, dass sie immer öfter zum Einsatz kommen. „Das Problem ist, dass Mobiltelefonie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist“, so ein Militär zur „Presse“. Schutz bietet derzeit nur die Einwahl über ein UMTS-Netz, dessen Verschlüsselung bis heute als sicher gilt. Nachteil: In Städten sind diese Netze oft überlastet, in abgelegenen Regionen gar nicht verfügbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2011)

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