»Games rücken in Mitte der Gesellschaft«

Eugen Knippel
Eugen Knippel(c) Michele Pauty (Michele Pauty)
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Vor 20 Jahren waren Videospiele etwas für Außenseiter. Heute spielen Menschen in jedem Alter und mit unterschiedlichem Hintergrund – die Spieleindustrie hinkt aber noch hinterher.

Sie spielen seit sieben Jahren bei Ubisoft auch beruflich Videospiele. Sind Sie ein typischer Gamer?

Eugen Knippel: Wahrscheinlich bin ich nicht der Vorzeigespieler. Viele junge Leute haben ein falsches Bild von meinem Job. Wir spielen hier nicht den ganzen Tag und zocken dann am Abend gemeinsam. Ich versuche aber, möglichst alle großen Titel anzuspielen, auch die der Konkurrenz. Vor Ubisoft habe ich privat hauptsächlich am PC gespielt. Besonders gern Shooter – als ich noch viel zu jung dazu war. „Doom“ und „Quake“ zum Beispiel.

Was war die letzte große Leidenschaft?

Die „Battlefield“-Reihe. Die ist leider vom größten Konkurrenten (Electronic Arts, Anm.).

In den vergangenen Jahren scheinen die großen Spielestudios mit der Fortsetzung bekannter Titel auf Nummer sicher zu gehen. Das Hacker-Spiel „Watch Dogs“ ist als ganz neues Game sehr erfolgreich. Wohin geht die Reise: Fortsetzung oder Innovation?

Das Ziel ist immer, aus neuen Marken Serien zu kreieren, weil man so viel Geld, Mühe und Arbeit investiert. Da wäre es schade, einen erfolgreichen Titel nicht weiter auszuschlachten. Die Projekte werden zwar immer weniger, aber jedes für sich immer größer. Solange das gut funktioniert, wird das sicher so bleiben.

Große Games werden immer wieder gern mit großen Produktionen der Filmbranche verglichen. Da ist aber meist die vierte oder fünfte Fortsetzung lang nicht so erfolgreich wie der erste Film. Warum ist das bei Spielen anders?

Vielleicht können Spiele unmittelbarer auf Anregungen des Publikums reagieren. Alte Hasen profitieren außerdem in der Fortsetzung von ihrer Erfahrung. Aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten mit großen Hollywood-Filmen. Zum Beispiel bei Comic-Vorlagen. Früher hat man bei Filmen zum Beispiel aus Batman eine klassische Trilogie gemacht. Heute spielt man sich mehr mit der Vorlage – ganz ähnlich wie in Games. Der kommende Film „Batman vs. Superman“ ist so ein Beispiel.

Bei Strategiespielen hat es seit „Sim City“, „Civilization“ oder den „Siedlern“ kaum mehr innovative neue Titel gegeben. Ist das Genre tot?

Der Trend geht weg von diesen sehr großen Simulationen, weil sich das Businessmodell geändert hat. Gerade am PC sind Rollenspiele, Strategie und Simulation meist „free to play“ (das eigentliche Spiel ist kostenlos, im Spiel kann man Extras kaufen, Anm.) und bekommen daher nicht so viel Aufmerksamkeit. Ein neues klassisches „Age of Empires“ würden sich vielleicht Millionen Menschen wünschen, aber vermutlich ist die Zeit noch nicht reif.

Ist die Zeit nicht eher schon vorüber?

Vielleicht auch. Vielleicht gibt es zu viel Konkurrenz, weil es mittlerweile zu viele kleinere Titel gibt.

Wie haben sich Games inhaltlich in den vergangenen 20 Jahren gewandelt?

Das Internet hat viele Veränderungen gebracht. „League of Legends“ macht zum Beispiel im Quartal so viel Umsatz wie Ubisoft im Jahr (zuletzt 1,1 Mrd. Dollar, Anm). Das ist ein sogenannter Moba – „Massive Online Battle Arena“-Titel. Man schaut also von schräg oben auf das Geschehen und kämpft ständig miteinander. Und es gibt Veranstaltungen, auf denen 20.000 Menschen dabei zuschauen, wie gekämpft wird. Dieses Spiel ist auch kostenlos und hat deshalb wahnsinnig viele Anhänger. Nur fünf Prozent der Spieler geben dafür auch Geld aus – das sind aber mehr als genug, damit es sich rechnet.

Außerdem wird heute viel mehr in Geschichte und Aufmachung investiert. „Doom“ wurde früher wahrscheinlich mit zehn Leuten in einem halben Jahr gemacht. Heute würde das zwei Jahre und hunderte Mitarbeiter brauchen. Man muss viel mehr auffallen, um sich gegen TV-Serien, Smartphones und Social Networks zu behaupten.

Hat sich auch die Zielgruppe geändert?

Die Spieler von damals sind erwachsen geworden. Was früher Nerd (abwertend für Technikfan, Anm.) genannt wurde, ist heute Durchschnitt. Es spielen immer mehr Frauen und ältere Leute. Games sind in die Mitte der Gesellschaft gerückt.

Versucht die Spielebranche, ältere Menschen anzusprechen?

Noch nicht direkt. Nintendo hat das eine Zeit lang mit der Wii U sehr gut gemacht und versucht, die Zielgruppe Familie anzusprechen. Da kann der Opa mit dem Enkel vor dem Fernseher Golf spielen. Eines der erfolgreichsten Spiele momentan ist „Candy Crush“. Dieses einfache Prinzip von Bausteinen, die verschoben werden, kann jede Altersklasse ansprechen. Es gibt sicher viele andere Möglichkeiten, aber noch hat sich das in der Branche nicht durchgesetzt. Es braucht einen innovativen Vorreiter, der alles über den Haufen wirft. Ich bin mir aber auch sicher, dass einige Klischees auch weiterhin bedient werden: Ein Shooter mit flacher Story und geringem Frauenanteil ist einfach auf pubertäre Buben zugeschnitten.

Ubisoft ist in den vergangenen Wochen kritisiert worden, weil in Titeln wie „Assassins Creed Unity“ keine weiblichen Protagonisten vorkommen. Etwas abenteuerlich war dann die Erklärung: Das sei ein zu großer Programmieraufwand. Was steckt da wirklich dahinter?

Ich glaube, dass in den Entwicklerteams die Sensibilität für das Thema fehlt. Das ist ein systembedingtes Problem: In der Spieleindustrie arbeiten hauptsächlich Männer. Daran müssen wir arbeiten und mehr weibliche Helden schaffen.

Heldinnen gibt es in Games, zum Beispiel Lara Croft in „Tomb Raider“. Aber auch die sprechen eher Männer an.

Ja, wahrscheinlich. Bei „Assassins Creed“ ist der Anteil an weiblichen Spielern sehr hoch.

Wie hoch genau?

30 bis 40 Prozent.

Der sogenannte Bechdel-Test besagt, dass in Filmen, die Frauen ansprechen, mindestens zwei Frauen vorkommen müssen, die sich miteinander unterhalten und nicht über Männer sprechen. Gibt es ein Spiel, das diesem Anspruch im weitesten Sinn gerecht wird?

Wenn ich an die großen Titel denke, wahrscheinlich nicht. Das kann man auch kaum schönreden. Ich denke aber, dass sich das schon bald ändern wird.

Gibt es keine Nachfrage nach weiblichen Hauptfiguren?

Ich fürchte, da gilt das Henne-Ei-Prinzip: Wir machen kein Spiel für Frauen, weil nicht so viele Frauen spielen, und Frauen spielen nicht so viel, weil es kaum Spiele für Frauen gibt.

Ubisoft hat eine Gruppe von Spielerinnen geschaffen, die sich „Frag Dolls“ (engl, umgangssprachlich, „Killer-Puppen“, Anm.) nennt. Was steckt da dahinter?

Das ist eine Gruppe von Frauen, die gemeinsam professionell Games spielen. Die sind sehr erfolgreich in dieser Männerdomäne.

Auf ihrer Homepage treten die „Frag Dolls“ in knappen Kleidchen auf. Werden auch damit nicht eher Männer als Frauen angesprochen?

Auf mich wirken sie wie toughe Mädchen. Viele dieser Frauen sind tatsächlich erfolgreiche Spielerinnen und haben schon oft gewonnen.

Steckbrief

Eugen Knippel
ist seit 2007 bei Ubisoft tätig und seit 2011 Marketingleiter von Ubisoft Österreich.

Ubisoft
ist nach Electronic Arts und Activision Blizzard weltweit der drittgrößte Herausgeber von Videospielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)


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