In Berlin das große Ding probieren

Die Wiener Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal wollen mit Number 26 das Girokonto mobil machen – von Berlin aus.
Die Wiener Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal wollen mit Number 26 das Girokonto mobil machen – von Berlin aus.Susanne Ullerich
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Sprung an die Spree: Im deutschen Start-up-Epizentrum mischen auch Gründer aus Österreich mit. Nicht alle kommen, um zu bleiben. Sie nutzen Berlin als Kontaktbörse, Trainingslager oder Sprungbrett.

Die Adresse macht mächtig was her: Unter den Linden, mitten in Mitte. Die Kaiserhöfe sind ein Gründerzeitpalais, samt Kolossalpilastern und korinthischen Kapitellen. Unter der monumentalen Pforte sucht der Gast die richtige Klingel: Number26. Schon verrückt: kein Ministerium, keine Botschaft, sondern ein Internet-Start-up. Solche Brutstätten des unternehmerischen Wagemuts sind längst ein Teil vom Mythos Berlin. Aber die Fantasie verortet sie in Kreuzberger Hinterhöfen, mit bröckelnden Mauern voller Graffiti. Dort wähnt man sie zuhause, die Programmierer im Club Mate-Eisteerausch, angesteckt von den Visionen genialischer Garagengründer.

Auch die Wiener Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal wollen hoch hinaus: den Bankenmarkt revolutionieren, das Girokonto in Echtzeit auf die Bildschirme der Smartphones bringen. In Deutschlands Hauptstadt können sich die schlauen Betriebswirte eine repräsentative Adresse leisten. Im Büro unter dem Dach geht es zu, wie es sich für ein Start-up gehört: kreatives Chaos, Völkergemisch, alle reden Englisch.

Harte Arbeit, leichtes Leben. Wer Großes vorhat, den zieht es nach Berlin. Hier funktioniert das Ökosystem. Entwickler aus aller Welt sind zum Umzug in diese Stadt leicht zu überreden. Die Investoren lassen sich hier blicken. Der laufende Austausch mit Branchenkollegen schafft Kontakte, öffnet Türen und hilft, von den Fehlern anderer zu lernen. Und billig ist es hier auch. Jüngst hat eine McKinsey-Studie insinuiert: Dass die ganz großen Erfolge ausbleiben, liege am leichten Leben, das den Leistungsdruck dämpfte. Freilich nicht bei den beiden Exil-„Ösis“: „Wir haben schon früher viel gearbeitet, als Angestellte in der Beratung und im Investmentbanking. Heute arbeiten wir noch mehr.“ Denn nun seien sie ja Unternehmer, verantwortlich für das Wohlergehen ihrer elf Mitarbeiter. Es scheint: Wer als Österreicher den Sprung an die Spree wagt, bringt Biss mit. Und so machen hier auffällig viele heimische Talente von sich reden. Im Epizentrum der Gründerszene finden sie weiße Flecken der Wirtschaftswelt, wo der digitale Wandel noch aussteht: von Offline zu Online, vom Computer zum Smartphone.

Konto, Sex und Segelboote. „Wenige Branchen sind so fällig für einen Umbruch wie die Banken“, ist Stalf überzeugt. Das schafft Platz für mehrere Mobilrebellen. Ein zweites Berliner Unternehmen steht mit derselben Idee in den Startlöchern. Die Markteinführung wird zum Wettlauf. Und siehe da: Auch hinter Avuba steht ein Österreicher. Was der Linzer Oliver Lukesch, Mitgründer und Chefentwickler, an dem mobilen Konto so spannend findet: Endlich programmiere er etwas, was alle Menschen „im Herzen berührt“, weil sie es fast täglich brauchen. Übrigens: Die Konkurrenten treffen sich abends gern auf ein Bier.

Lukrative Nischen finden kreative Exilösterreicher auch ganz woanders. Selbst das älteste Gewerbe der Welt lässt sich auf neueste Weise vermitteln: Peppr.it ist eine Buchungs-App für sexuelle Dienste, auf der sich Prostituierte schmuddelfrei und fast schon seriös präsentieren. Dahinter steht mit Pia Poppenreiter (kein Künstlername) eine Oberösterreicherin. Schon ihren Master hat die Betriebswirtin in Berlin gemacht, im Fach Wirtschaftsethik. Das, so meint sie, verschaffe ihr das nötige Feingefühl für das heikle Thema.

Wie verschlägt es andere junge Gründer hierher? Oft sind es Accelerator-Programme, die anlocken. Diese „Beschleuniger“ helfen frisch geschlüpften Unternehmern durch intensives Coaching über mehrere Monate zur rascheren Entwicklung. Dafür sichern sich die Organisatoren Anteile. Oft stehen Konzerne dahinter, wie Axel Springer, dessen Plug & Play der Grazer Bernhard Hauser soeben durchlaufen hat. Mit einem zweiten Grazer entwickelt er Orat.io, ein Plug-in, das Kommentarseiten besser strukturiert. Eine nur scheinbar schlichte Sache: Wenn ein Onlinemedium es schafft, dass seine Diskutanten nicht zu anderen Seiten „abfließen“, ist das Gold wert. Mit leuchtenden Augen schwärmt Hauser vom Unternehmertum: „Jeden Tag dreht sich dein eigenes Ding weiter, entsteht etwas Neues.“ Drei Monate schloss er an, um Kontakte zu potenziellen Kunden zu vertiefen. Im Herbst geht es zurück nach Österreich, der Berlin-Konnex soll bleiben.

Im neuen Durchgang von Plug& Play hält nun Anna Banicevic die rot-weiß-rote Fahne hoch. Die Wienerin verhilft auf Zizooboats Hobbyskippern zum günstigen Segelurlaub. Der Vermittlungsdienst weckt Charterfirmen, die bisher vor allem mit Telefon und Excel-Listen agieren, aus dem digitalen Dornröschenschlaf. Ihr ganzes Team will die 32-Jährige nun nach Berlin holen, obwohl sie erst im März Büros im Herzen Wiens bezogen haben.

Für andere ist Berlin nur eine bewusst geplante Zwischenstation. Als der Wiener Moritz Plassnig sein Start-up Codeship zum Vollzeitprojekt ausbaute, brauchte er Tapetenwechsel: „In der gewohnten Umgebung konnten wir den Schalter nicht umlegen.“ Die Zeit in Berlin inszenierte der 25-Jährige als eine Art Trainingslager: „Wir haben zusammen gearbeitet und gelebt, uns als Team erst kennengelernt.“ Schon damals war klar, dass der Endpunkt der Reise die USA sein würden. Dort konzentriert sich die Nachfrage für den Dienst, der Firmen dabei hilft, neue Software-Versionen automatisiert an Kunden auszurollen. Nun arbeitet ein Teil von Plassnigs Truppe in Boston, der andere im guten alten Wien.

Schlauer scheitern.
Nicht alle Blütenträume reifen, auch nicht in Berlin. Ein großer Teil der Start-ups bleibt klein, trocknet finanziell aus – oder rettet sich in den Notverkauf. Wie der Aktivitätenmarktplatz Gidsy, der vor zwei Jahren in aller Munde war. Groß war der Hype, als sogar Hollywoodstar Ashton Kutcher Geld in das Start-up steckte.

Doch Hipster allerorten zu privaten Yoga-Abenden oder Kochkursen zusammenzubringen erwies sich auch für den versierten Entwickler Florian Wassibauer aus Salzburg als „zu komplexes Problem“. Auf einem besseren Weg scheint Get your Guide zu sein, das sich auf professionelle Tourismusanbieter beschränkt.

Im Vorjahr übernahmen die Schweizer Gidsy, samt Know-how und Wassibauer. Der Exgründer ist nun Angestellter. Kein Grund zur Wehmut: „Ich habe so viel gelernt.“ Und: „Es ist angenehm, auch wieder Zeit für Frau und Kinder zu haben.“

ROT-WEISS-ROTE Gründer in Berlin

Number 26
Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal
www.number26.de

Avuba
Oliver Lukesch
www.avuba.de

Peppr.it
Pia Poppenreiter
www.peppr.it

Orat.io
Bernhard Hauser und David Pichsenmeister
www.orat.io

Zizooboats
Anna Banicevic
www.zizooboats.com

Codeship
Moritz Plassnig
www.codeship.io

In früheren Artikeln:

Auctionata
Alexander und Susanne Zacke
www.auctionata.de

Klash
Alex Napetschnig
www.klashapp.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2014)

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