Mutige Migranten: Als Unternehmer siegen

Oksana Stavrou mit Ahmad Majid.
Oksana Stavrou mit Ahmad Majid.Die Presse
  • Drucken

Über ein Drittel der Selbstständigen in Wien sind Einwanderer. Eine eigene Firma zu gründen ist oft die einzige Möglichkeit, ihre Existenz zu sichern. Was machen sie anders als gebürtige Österreicher?

Neu in ein Land zu kommen ist nie einfach. Jeder Einwanderer kann Geschichten von Hürden und Problemen beim Einleben erzählen. Nicht nur in Hinblick auf kulturelle Missverständnisse, sondern auch, was das Arbeiten betrifft. Angefangen von Problemen bei der Suche bis hin zu ausreichenden Deutschkenntnissen ist es oft ein steiniger Weg zum Erfolg.

Dann noch ein eigenes Unternehmen aufzubauen ist besonders schwierig. Trotzdem sind über ein Drittel der Selbstständigen in Wien Einwanderer. Aus einem einfachen Grund: Der Weg, den Einheimische wegen der Risken meiden, ist für Einwanderer der Schlüssel zur Unabhängigkeit, so die Erkenntnis mehrerer Erhebungen von Wirtschaftskammer und Wirtschaftsministerium.

So ging es auch Vlad Gozman, heute als der Mann bekannt, der die TED- Talks nach Wien brachte. Gozman war in Rumänien, seiner Heimat, bereits mehrfacher Gründer. Nach einem gescheiterten Projekt und einem erfolgreichen Exit machte Gozman eine Europa-Reise und beschloss 2010, nach Wien zu ziehen. Als Absolvent einer deutschsprachigen Schule war zusätzlich zur hervorragenden Infrastruktur auch die Sprache ein wesentlicher Entscheidungsfaktor. Er wollte neben seinen unternehmerischen Tätigkeiten einen Job finden, mit dem er seine Existenz sichern konnte. Aber ohne Arbeitsgenehmigung (Rumänen hatten damals noch keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt) war das ein Ding der Unmöglichkeit für ihn. Und genau das trieb ihn an.

Oksana Stavrou ist ausgebildete Juristin aus der Ukraine, die 2004 nach Österreich zog. Nachdem sie ihr Diplom hatte nostrifizieren lassen, arbeitete sie jahrelang für ein Versicherungsunternehmen, heiratete und bekam zwei Kinder. Die Idee für ihr zukünftiges Unternehmen kam ihr, als sie beobachtete, dass ihr Mann, der täglich mit dem Rad zur Arbeit fuhr, bei Regenwetter mit durchnässten Hosen nach Hause kam. Das war die Geburtsstunde von Raincombi: einem einfachen Regenschutz, der von allen Seiten trocken hält, atmungsaktiv und vor allem hochqualitativ ist. Das Produkt wird in Tschechien aus schwedischen, deutschen, norwegischen und tschechischen Materialien produziert.

Ihre Vision und ihr Ehrgeiz konnten auch andere überzeugen: die Jury von Immipreneurs of Austria. Diese Initiative hilft jungen Migranten aus armen Ländern oder Krisengebieten beim Wachstum ihres Unternehmens. Sie bietet viel, von der Finanzierung über Beratung bis hin zu gezielter Unterstützung beim Vertrieb des Produkts.

Der Erfolg bei Immipreneurs bedeutete, dass die Firma der jungen ukrainischen Mutter von einem Ein-Personen-Unternehmen mit einer innovativen Vision zu einer ausgereiften Firma heranwachsen konnte. Nur vier Jahre nach der ersten Idee kann man den Raincombi nun sowohl auf ihrer Website als auch bei 18 Händlern in Österreich und Deutschland kaufen.

Im Gegensatz dazu hatte Vlad Gozman nicht den Luxus der Zeit. Ohne Aussicht auf einen Job blieb ihm nur der Weg in die Selbstständigkeit – und seine Idee musste schnell Früchte tragen. Er wollte vor allem nicht ein rumänischer Unternehmer in Wien sein, sondern viel mehr ein Wiener Unternehmer aus Rumänien.

„Ich habe aktiv versucht, am Anfang nicht in den rumänischen Kreisen zu landen. Das ist eine große Falle für Migranten“, sagt er. Eines der Projekte, die er als potenzielle Existenzsicherung aufgriff, war die Lizenz für TEDxVienna. Die TED-Talks, bei denen interessante und innovative Personen kurze Vorträge halten, waren international schon etabliert, nun musste Gozman versuchen, Wien und speziell Geldgeber und Mitarbeiter davon zu überzeugen. Doch der Enthusiasmus hielt sich in Grenzen. „Als ich gemerkt habe, dass es schwer ist, Leute zu rekrutieren, habe ich die ersten sozialen Kanäle aufgemacht und es einfach so verkauft, als ob es funktioniert, obwohl vieles noch unsicher gewesen ist.“ Gozman lacht, während er das erzählt, aber dieses bisschen Mut zum Ausschmücken war ausschlaggebend für seinen Erfolg. „Dadurch habe ich Vertrauen erweckt. Ich habe in der Wir-Form gesprochen, obwohl ich allein gewesen bin, und quasi die Sicherheit simuliert, dass alles schon fertig sei. Man brauche halt helfende Hände.“ Diese Hände griffen ein, und TEDxVienna feiert heuer das fünfte Jubiläum.

Die Erfinderin von Raincombi hat genauso wie Gozman, positive Erfahrungen als Unternehmerin gemacht, speziell in Hinblick auf ihre Herkunft. Nach der Gründung wurde OksanaStavrou positiv von Geschäftspartnern empfangen. „Sie hatten Respekt davor, dass eine Ukrainerin in diesen schwierigen Zeiten an Innovation und Nachhaltigkeit denken konnte.“ In ihrer Heimat gelte ein solches Denken als weltfremd.

Selbst etwas tun. Als sie nach Österreich zog, war Stavrou von Organisationen wie der freiwilligen Feuerwehr begeistert. „Hier wissen Menschen, dass sie selbst etwas tun müssen, um ihre Sicherheit und jene ihrer Mitmenschen zu gewährleisten.“ Sie denkt oft an die kulturellen Unterschiede, die ihre heutige Identität ausmachen. Zur selben Zeit, als Erich Kästner die Wörter „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ schrieb, war viel vom heutigen Europa im Schatten der Sowjetunion. „Die Menschen wurden praktisch entmündigt“, sagt Stavrou. Noch jetzt würden sie „komplett verkehrt“ über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozesse im Westen denken.

Die Vorteile an seinem Außenseiterdasein merkte Gozman erst, als TEDxVienna gestartet war. „Der Erfolgsmoment war ausschlaggebend, da wendete sich alles.“ Seine Geschichte wurde dadurch viel interessanter: Ein Newcomer ohne Arbeitsrecht hat im Alleingang etwas Besonderes auf die Beine gestellt. „Es war eine spannende Story, es war facettenreicher.“

„In vielen Fällen haben Einheimische überall auf der Welt einen höheren Grad an Gemütlichkeit als Einwanderer“, meint Gozman. „Sie haben die tolle Infrastruktur und die sozialen Sicherheiten. Es fehlt die Motivation, eine neue Sache zu starten, auch wenn vielleicht das bessere Skill-Set dafür vorhanden wäre.“ Gozman sieht das als einen potenziellen Vorteil für Einwanderer, um so auch gegen einen starken Strom schwimmen zu können.

Immipreneurs, die Förderer von Raincombi, wollen genau solchen Menschen unter die Arme greifen. „Oksana war eine Ausnahme“, sagt Ahmad Majid, Mitgründer von Immipreneurs. „Wir konzentrieren uns hauptsächlich auf Afrikaner, Asiaten und Südamerikaner.“ Immipreneurs hat auch Gründer aus dem Senegal, Pakistan und China im Portfolio. Man investiere nicht in Produkte, sondern in Menschen, sagt Majid. Nachsatz: „Das sagen natürlich alle. Wir suchen aber nach einer gewissen Eigenschaft.“ Ohne gute Chancen auf einen Job seien Einwanderer oft gezwungen, selbstständig ihre Existenz zu sichern. „Die Eigenschaft, die daraus resultiert, ist der Wille zu harter Arbeit.“

Nicht alles selbstverständlich. Oksana Stavrou weiß, was sie und ihresgleichen besonders macht: „Ich sehe Österreich mit ganz anderen Augen als ein Österreicher, der vieles als selbstverständlich und immerwährend wahrnimmt“, sagt sie. „Ich sehe viele Dinge vielmehr als Errungenschaft und bin dafür sehr dankbar.“ TEDxVienna-Gründer Gozman hat noch weitere Asse im Ärmel: Ein neues Projekt für innovative Denker ist schon in Planung. Er glaubt, durch seine Erfahrungen auch etwas Wesentliches über die Wiener verstanden zu haben: „Ich glaube, in Wien ist es so, dass die Leute darauf warten, dass man sich beweist. Wenn man selbst etwas schafft, dann schauen die Wiener, was daraus geworden ist, und wenn sie überzeugt sind, dann wollen sie ein Teil davon sein.“

Erfolgreich

TEDxVienna. Auf der Veranstaltung halten interessante Persönlichkeiten kurze Vorträge, die auch im Internet anzusehen sind. Das Format ist weltweit erfolgreich. tedxvienna.at

Raincombi ist ein Regenschutz-Overall für Radfahrer. raincombi.at

Immipreneurs of Austria hilft jungen Migranten, ihr Unternehmen in Österreich aufzubauen. www.immipreneurs.eu

Lexikon

Innovationsbasierte Länder. Diese Klassifikation des World Economic Forum umfasst stark wissensbasierte Ökonomien mit einem erweiterten Dienstleistungssektor.

TEA-Rate. Die Rate des frühen Unternehmertums fasst Unternehmer, die noch im Gründungsstadium sind und solche, die kürzlich gegründet haben, zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.