Genetik: Weit gereiste Hausschweine

AP (Talbot)
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Das Hausschwein kam aus Anatolien zu uns, wurde aber durch heimische Domestikationen ersetzt.

Als ab dem siebten vorchristlichen Jahrtausend die Agrikultur nach Europa kam, kam sie in einem „neolithischen Paket“. Es umfasste Nutztiere und -pflanzen, auch Agrartechniken, entwickelt wurden sie in der „neolithischen Revolution“ vor etwa 11.000Jahren in Anatolien, dort wurden auch die ersten Tiere und Pflanzen domestiziert. Irgendwie kam dann das ganze Paket nach Europa.

Aber wie? Das ist strittig, es gibt zwei Hypothesen, die eine hat ganze Völkerschaften aus Anatolien loswandern sehen („demische Diffusion“), für die anderen sind nicht die Menschen gewandert, sondern ihr Wissen ist es („kulturelle Diffusion“). Was manche Nutztiere angeht, gibt es die dritte Variante: dass sie gar nicht kommen mussten, sondern in Europa domestiziert wurden. Bei Ziegen und Schafen ging das nicht – ihre Wildformen gab es nicht in Europa –, aber Auerochsen gab es schon, Wildgeflügel auch und, natürlich, Wildschweine.

Die wühlten noch frei nach Eicheln im Wald, als die ersten Hausschweine in Europa auftauchten, im vierten vorchristlichen Jahrtausend hatten sie es bis in den Pariser Raum geschafft. Dort – und auf dem ganzen Weg von Anatolien her – gibt es fossile Knochen, eine Gruppe um Keith Dobney (Durham) hat 221 auf die Gene analysiert und mit denen von heutigen Hausschweinen verglichen. Demnach kamen die Schweine tatsächlich aus dem Osten – Ferkel sind leicht transportabel –, sie bestätigen indirekt die demische Diffusion und deren zwei Wege: Einer führte die Donau hinauf, ein anderer an der Mittelmeerküste entlang.

Aber als diese Schweine im Pariser Raum ankamen, gab es sie in Osteuropa schon nicht mehr, die Bauern hatten begonnen, das europäische Wildschwein zu domestizieren, es war wohl größer und besser an das Klima angepasst. Auf alle Fälle war es ein Erfolgsmodell, das Schwein überhaupt – in der Region von Paris stellte es bald 30Prozent aller Haustiere –, das europäische Schwein im Besonderen: Kaum gezüchtet, wurde es in Gegenrichtung exportiert, nach Anatolien und weiter in den Osten (Pnas, 4.9.).

Artenschwund bei Nutztieren

So sind im Nahen Osten fast alle heutigen Hausschweine europäischer Herkunft. Immerhin: Wildschweine gibt es noch, es gibt sie überall auf der Erde, man könnte überall mit der Domestizierung neu beginnen. Aber die Wildformen anderer Nutztiere sind entweder verschwunden oder selten geworden.

Es gibt also keine Genreserven, die kompensieren könnten, was sich erdweit bei den Nutztieren abspielt: Ihre Vielfalt schwindet rapide, wenige westliche Züchter drücken die Märkte mit Tieren voll, die an die Regionen nicht angepasst sind, das International Lifestock Research Institute (ILRI) hat es bilanziert. Dramatisch ist die Lage bei Rindern und Geflügel, aber auch die Schweine sind arm: In Nordvietnam etwa stellten heimische Züchtungen 1994 72Prozent der Bestände, heute 26, von 14 lokalen Arten sind zehn am Verschwinden (www.ilri.org).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2007)

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