Handwerker, richt' du die Welt!

Richard Sennett, heute in Wien, beschwört das Idyll der Arbeit, das alle Wunden heilen soll.

Die Geschichte – die im emphatischen Sinn, nicht die blinde Entwicklung der Natur – beginnt mit der Arbeit, der Mythos hat es überliefert: Der „Schweiß des Angesichts“ (Genesis, 3, 19) brachte Gliederung in die Zeit und Bildung in die Menschen. Das ging ein paar Jahrtausende gut, dann zeigte sich die fatale Drohung, die Geschichte könne auch damit enden, mit der Arbeit bzw. einem ihrer Produkte: „Ich bin der Tod, der Weltzerstörer.“ Das Krischna-Zitat schrieb Robert Oppenheimer – maßgeblich am Bau der Atombombe beteiligt und von bösen Qualen geplagt – in sein Tagebuch.

Richard Sennett zitiert es eingangs seines neuen Buchs, er verknüpft es mit der Erinnerung an eine Begegnung mit Hannah Arendt, seine früheren Lehrerin, in New York 1962. Damals drohte – Kubakrise – der große Atomschlag, die Frage war nicht nur die, wie man ihn abwenden könne (bzw. die Bomben auf Hiroshima/Nagasaki abwenden hätte können). Sondern, grundsätzlich: Wie kann man wildgewordene Technik domestizieren, wie wieder „Herr im Haus der Dinge, Werkzeuge und Maschinen“ (Sennett) werden?

Wie lässt sich Technik domestizieren?

Arendt setzte darauf, dass eine aufgeklärte öffentliche Debatte Fehlentwicklungen verhindern könne. Sennett hielt das – der Bombenbau musste geheim gehalten werden – für naiv. Und der Leser denkt, nun komme seine, Sennetts Analyse der Arbeit und Technik bzw. sein Vorschlag zur Abwehr der Selbstzerstörung (durch die Bombe oder Ökokatastrophen).

Aber es kommt nichts. Sennett, Philosoph und Soziologe, blendet alles aus, was in den den letzten 180 Jahren zum Thema zusammengetragen wurde, kein Hegel, kein Marx, kein Adorno, kein Anders, keine Arendt (zu ihr später). Stattdessen klaubt er aus dem Fundus eine Figur, die schon reichlich dick verstaubt ist, den Handwerker.

Er soll es richten, mit seiner Liebe zur Gestaltung eines Materials, in deren Zug er seine Werkzeuge und sich selbst verfeinert: „Die wohl umstrittenste These dieses Buchs ist die Behauptung, dass jeder Mensch ein guter Handwerker werden kann.“ Und wenn man der These nur folgt, wird alles gut: „Wer gut zu arbeiten lernt, kann auch sich selbst regieren und ein guter Staatsbürger werden“, „Würde“ erlangen, „Frieden“ sichern.

War es nicht so, von der Antike bis zum Wien zu Beginn des 20.Jahrhunderts? Der Handwerker Sennett geht an sein Material, wir besuchen antike Töpfer und Weberinnen, werfen Blicke in die Werkstätten von Cellini und Stradivari, Sennett wechselt das Feld, hinüber zu Physiologie und Hirnforschung, wir erfahren, was die Hand alles kann und dass Kinder sich spielerisch einlernen und dass Wittgenstein das Haus für seine Schwester in der Kundmanngasse im Dritten Wiener Bezirk fehlplante. Das alles – und noch viel mehr –, ist höchst lehrreich, es liest sich auch gut, es fügt sich nur nicht mit dem Heute zu einem Werkstück. Wie auch? Die Zeit des Handwerks ist vorbei, Sennett weiß es natürlich, er führt John Ruskin an, der sich Ende des 19.Jahrhunderts gegen die Moderne aufbäumte und zur mittelalterlichen Bauhütte zurück wollte.

Und weil Sennett das weiß, biegt er vom Handwerker aus Fleisch und Blut ab auf den handwerklichen Geist – „den Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen“ – und sieht ihn allerorten am Werk, „beim Kochen, Entwurf eines Spielplatzes oder Cellospiel“ (Sennett spielt es), im Forscherlabor – damals bei Oppenheimer, heute bei den Molekularbiologen – im Architektenbüro, man möchte ergänzen, dass auch Journalisten zu den Privilegierten gehören.

Aber sind wir die Welt? Mir begegnen Mit-Arbeiter vor allem in Gestalt von Frauen an Supermarktkassen – die tun ihre Arbeit gut –, auch davon begegnen mir immer weniger, bald erledigt der Kunde alles selbst. Zudem leben wir in einem gespenstischen Umbruch, in dem es nicht mehr darum geht, dass irgendein Ding produziert wird – sondern, dass Arbeit produziert wird.

Kann jeder Handwerker werden?

„Jeder kann ein guter Handwerker werden“? Es liest sich wie Hohn. Sennett meint es nicht so, er meint, jeder habe die Fähigkeiten. Aber es ist Hohn, Sennett blendet auch die Rahmenbedingungen aus: Eines seiner wenigen Beispiele aus der jüngeren Geschichte stammt aus der Forschung, es geht um die Entdeckung des HI-Virus, um die in den 80er-Jahren ein erbitterter Streit zwischen Luc Montagnier und Robert Gallo tobte. Sennett führt ihn zurück auf Persönlichkeitsdefizite, „neidvollen Vergleich“ und „Rennleidenschaft“: „Wer davon besessen ist, verliert leicht den eigentlichen Sinn und Zweck seines Tuns aus den Augen und denkt nicht in der typischen Zeit des Handwerkers, jener langsamen Zeit, die Nachdenken ermöglicht.“ Haltet ein, Montagnier und Gallo, möchte man rufen: Lehnt euch zurück, lauscht dem leisen Klirren der Butzenscheiben und schaut zu, wie ihr im „publish und perish“ unter die Räder kommt!

Und die Verhältnisse, sie sind nicht nur ökonomisch nicht so. Selbst wenn man ein Paradies unterstellt, in dem jeder „gute Arbeit“ tut – dann bleibt die Frage, ob in der Hölle nicht ebenso gut gearbeitet wird. Damit zurück zu Hannah Arendt und zu Sennetts Definition des Handwerks – „eine Arbeit um ihrer selbst Willen gut machen“ –, in der es immer nur um die Tätigkeit geht und nie um das Produkt. Gut erledigt werden soll etwas, von der Qualität ist nicht die Rede.

Kann das Böse gut sein?

Aber als Sennett Arendt 1962 in New York begegnete, war sie gerade zurück aus Jerusalem, wo sie den Prozess gegen einen beobachtet hatte, der beteuerte, er habe stets nur „gute Arbeit“ gemacht, die Züge immer pünktlich nach Auschwitz geschickt: Eichmann. Arendt versuchte diesen – neben Hiroshima – zweiten Schrecken des 20. Jahrhunderts in einen Begriff zu bannen: „Banalität des Bösen“. Bei Sennett taucht der Begriff nur ganz am Rande auf, und das Problem, das auch Oppenheimer umtrieb, überhaupt nicht: Kann das Böse (handwerklich) gut sein? Wie geht das zu? Wie kann man es verhindern?

Nichts davon im „Handwerk“, das ist mehr als ein handwerklicher Mangel. Aber warten wir ab, das Werk ist auf drei Teile angelegt, im zweiten geht es um Rituale, im dritten zur Sache, zur Selbstzerstörung via Umweltzerstörung: „Wir werden andere Dinge herstellen müssen als bisher. Wir werden gute Umwelthandwerker werden müssen.“

R.SENNETT: Leben & Werk

Geboren 1943 in Chicago, studierte Soziologie und Geschichte, u.a, bei Talcot Parsons und Hannah Arendt, lehrt an der London School of Economics und der New York University. Sennet studierte auch Cello und trat erfolgreich auf, musste aber nach einer Fehloperation an der Hand aufgeben.

Publikationen: „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität“ (1986), „Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds“ (1994), „Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“ (1998) u.v.m.

Ehrungen: Premio Amalfi, Hegel-Preis.

In Wien referiert Sennett heute, 26.2., über sein neues Buch „Handwerk“: 19.00, Kreisky-Forum, 1190, Armbrusterg. 15. [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2008)

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