Schwarzfahren von Riad bis Boston

Strafen ist auch Gefühlssache. Doch die Neigung zu Strafen aus Bosheit ist stark von den Normen in einer Kultur abhängig.

Warum die Neigung zum Strafen sich in der Evolution durchgesetzt hat, ist umstritten (siehe oben), sie existiert jedenfalls. Und wer sie auslebt, handelt nicht im Kantschen Sinn ohne Neigung, nur einer Pflicht gehorchend, sondern erlebt dabei auch Emotionen. Man spricht von „Genugtuung“, der Vorarlberger Ökonom Ernst Fehr (Uni Zürich) hat sie sogar im Gehirn lokalisiert: im „nucleus caudate“, der auch aktiviert ist, wenn Menschen Geld erhalten, Fotos ihrer Geliebten sehen oder Kokain schnupfen. „Rache ist süß“, sagt man: Fehr glaubt, dass das – lange vor dem Rechtsstaat – eine Grundlage der sozialen Ordnung war/ist.

Aber wie zieht man eine Grenze zwischen Rache resp. Strafe und Gehässigkeit? Die Definition für „altruistische Bestrafung“ – man schadet anderen auf eigene Kosten – legt nicht fest, dass der, dem man schadet, das auch verdient. Es ist auch möglich, dass einer aus Bosheit straft.

Das nennt man „antisoziale Bestrafung“. Ihr gingen Forscher der Unis in St.Gallen (Schweiz) und Nottingham (England) nach – mit einem Spiel, bei dem die Spieler ihre Bons behalten oder für ein gemeinsames Projekt spenden konnten. Und sie konnten altruistisch strafen. Das taten sie aber nicht nur, um Trittbrettfahrer (die vom Gruppenprojekt profitieren, aber nichts dafür spenden) zu strafen. Nein, manche straften auch kooperative Mitspieler, etwa um sich dafür zu rächen, dass sie selbst bestraft wurden.

Zunächst führten die Forscher das Experiment in Russland und in der Schweiz durch – und stellten verblüfft fest, dass antisoziales Strafen in Russland deutlich häufiger war. Darauf erweiterten sie das Sample auf 16 Städte. Ergebnis: Die Tendenz zu antisozialer Bestrafung hängt stark vom Ort ab. Am größten war sie in Maskat (Oman) und Athen, es folgen Riad (Saudiarabien), Samara (Russland), Minsk, Istanbul. Am wenigsten praktiziert wurde sie von den Testpersonen in Boston, Melbourne, Nottingham und St.Gallen. Offenbar sei die Neigung zu antisozialer Bestrafung in Gesellschaften geringer, in denen der Gesetzesvollzug gut und ohne Willkür funktioniert, meinen die Autoren (Science, 319, S.1362).

Jedenfalls sei die Möglichkeit von Bestrafung nur dann gesellschaftlich nützlich, wenn sie von starken Normen der Kooperation begleitet wird. Etwa der Einigkeit darüber, dass Trittbrettfahren unakzeptabel ist, sei es durch Schwarzfahren, Umweltsünden oder Steuerhinterziehung. tk

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2008)

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