Stammzellen: Erste Menschen-Tests

(c) AP (Stephen Minger)
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In Deutschland fällt heute die politische Entscheidung über die Regelung des Feldes; in den USA bereiten sich Behörden auf technische Details der Zulassung vor.

Diesen Sommer sollen in den USA erste Tests von embryonalen Stammzellen (ES) bzw. daraus gewonnenen Zellen an Menschen beginnen: Die Firma Geron plant, Querschnittsgelähmten mit Nervenzellen zu helfen (www.geron.com). Andere wollen folgen, die Firma Neuralstem zielt auch mit Nervenzellen auf ALS – eine fortschreitende Lähmung, auch Lou Gehrig's Disease genannt –, Advanced Cell will mit Sehpigmentzellen bestimmte Formen der Erblindung bekämpfen. Deshalb hat die zuständige Behörde – Food and Drug Administration, FDA – für Donnerstag/Freitag eine Tagung angesetzt, auf der die technischen Probleme der Anwendung dieser Zellen präzisiert werden.

Umstrittene Stichtagsregelung

Um die ethischen Probleme der Forschung an den Zellen geht es hingegen in Deutschland: Heute, Freitag, entscheidet der Bundestag darüber, wie es bei ES weitergeht. Mit der bisherigen Regelung – in Deutschland dürfen keine ES hergestellt werden, aber bestimmte Zelllinien dürfen zu Forschungszwecken importiert werden, es gilt eine Stichtagsregelung, die Zelllinien müssen vor dem 1.1.2002 hergestellt worden sein – ist niemand zufrieden. Die Forschung will jüngere Zellen (importieren, die Herstellung in Deutschland fordert niemand), die Kirchen wollen überhaupt keine Forschung an ES (weil bei deren Herstellung Embryos zerstört werden). Das Parlament muss entscheiden, die Parteien sind ineinander gespalten, vier Gruppen haben sich zusammengefunden: Die eine will ein Verbot, die zweite eine Freigabe (Import ohne Stichtagsregelung), die dritte empfiehlt eine einmalige Stichtagsverschiebung (auf 1.5.2007), die vierte will alles beim Alten lassen.

Bundeskanzlerin Merkel und Forschungsministerin Schavan sind die prominentesten Vertreterinnen der dritten Gruppe, diese hat im Vorfeld die meisten Unterstützer gefunden, 182 unterschrieben dafür. Allerdings gibt es viele Unentschiedene, und es ist unklar, wie sich die jüngsten Entwicklungen auf deren Abstimmungsverhalten auswirken werden, vor allem die in England, wo gerade erstmals ein Mischwesen aus Mensch und Kuh gebaut wurde, um ES zu gewinnen. Damit will man die ethischen Probleme umgehen – das Mischwesen ist kein menschlicher Embryo –, stieß aber auf breite Empörung, in England ziehen christliche Gruppen laut BBC (9.4.) gegen das Experiment bzw. die Regulierungsbehörde vor Gericht.

In Bewegung kommen wird die Lage auch in den USA, derzeit ist sie höchst verwirrend: Öffentlich geförderte Forschung – also vor allem die an Universitäten – darf ähnlich wie in Deutschland nur mit Zellen arbeiten, die vor einem gewissen Stichtag gewonnen wurden; private Forschung hingegen – also vor allem die der Pharmaindustrie – darf alles, sie agiert in einem gesetzesfreien Raum. Ob sich Letzteres nach der Präsidentenwahl ändern wird, ist unbekannt, die Lage der öffentlichen Forschung hingegen wird sich ändern, alle drei verbliebenen Kandidaten – McCain, Clinton, Obama – haben sich für eine Liberalisierung ausgesprochen, Stammzellen sind diesmal kein großes Wahlkampfthema.

Gefahr: Krebs

Stattdessen wächst der Regelungsbedarf bei der Anwendung, die Zeit für die FDA wird knapp, der Druck von Industrie – und Patienten – steigt, deshalb die derzeitige Tagung. Klären soll sie vor allem, wie sicher – vor der Nebenfolge Krebs – Stammzelltherapien sind: ES wachsen, sofern sie in Körpergewebe injiziert werden, zu besonderen Tumoren heran, zu Teratomen (das ist nachgerade das äußerliche Erkennungszeichen von ES, innerlich sind sie durch Genaktivitäten charakterisiert). Nun will niemand ES injizieren, man will aus ES die differenzierten Zellen ziehen, die man als Transplantate braucht, Nervenzellen etwa. Aber zum Transplantieren braucht man Millionen Zellen, darunter darf keine einzige ES sein.

Im Vorfeld der FDA-Tagung ließen die Firmen wissen, sie hätten das Problem gelöst und in letzten Vorversuchen – an Schweinen – keine Tumore gesehen, die Zellen hätten sich auch alle entwickelt wie vorgesehen. Das ist die zweite Sorge: Niemand will, dass man etwa Hirnzellen implantiert – und Knochenzellen daraus werden.

Beide Sorgen gibt es auch bei den Zellen, die ethisch keine Probleme machen, aber in ihrer Nützlichkeit umstritten sind: adulten Stammzellen, etwa aus Knochenmark oder Nabelschnurblut. Auch sie können sich zu Tumoren entwickeln, das ist eines der Themen auf dem dritten derzeitigen Großtreffen des Feldes, die britischen Spezialisten tagen in Edinburgh (www.bbsrc.ac.uk).

STAMMZELLEN: Vielfalt

ES, embryonale Stammzellen: Aus ihnen kann sich jeder Zelltyp entwickeln. Bei der Herstellung werden Embryos zerstört.

iPS, induzierte pluripotente Stammzellen: Auch aus ihnen kann sich jeder Zelltyp entwickeln. Zur Gewinnung werden Zellen verjüngt, man hat noch wenig Erfahrung.

Adulte: Auch sie haben keine ethischen Probleme – sie stammen etwa aus Knochenmark –, aber ihr Nutzen ist umstritten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2008)

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