Ganz normal: „Homo-Ehe“ im Tierreich

(c) EPA (Attila Kovacs)
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Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind bei mehr als 1500 Tierarten nachgewiesen. Interessanterweise steigt die Wahrscheinlichkeit für homosoziale Bindungen mit der Anzahl an gescheiterten Beziehungen.

"Mama, der Hansi hupft immer auf den Franzi!“ Während Kinder bei Meerschweinchen schon früh homosexuelle Handlungen beobachten, hört man von älteren Menschen noch zu oft den Satz: „Homosexualität ist wider die Natur.“ Und das, obwohl gleichgeschlechtliche Liebe bei mehr als 1500 Tierarten nachgewiesen ist. Vom kleinen Insekt bis zum großen Wal, sie alle gehen entweder für kurze Affären oder über viele Jahre eine Partnerschaft mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen ein. Warum ist unsere Gesellschaft darüber nicht ausreichend informiert?

In ihrem Buch „Homosexual Behaviour in Animals“ erklären Paul Vasey und Volker Sommer, dass Forscher in früheren Zeiten Angst hatten, Beobachtungen von Homosexualität zu publizieren. Zum einen wollten die Wissenschaftler nicht vor der Kollegenschaft als schwul abgestempelt werden, zum anderen befürchteten viele einen möglichen Nachteil für die weitere Karriere. So berichten Primaten-Forscher intern, dass fünf bis zehn Prozent der Affen gleichgeschlechtliche Partner bevorzugen – aber darüber schreiben sollen andere. Gut, dass Vasey und Sommer dies getan haben. Beide erforschen seit vielen Jahren das soziale und sexuelle Verhalten verschiedenster Affenarten und geben in ihrem Buch auch anderen Forschern Raum, die Homosexualität der beforschten Tiergruppen zu dokumentieren.

Vorteil in der Hierarchie der Gänse

Das erste Kapitel kommt aus der Grünau in Oberösterreich, wo seit Konrad Lorenz täglich über das Verhalten der Graugänse Buch geführt wird. Kurt Kotrschal, Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle, berichtet gerne, welche Vorteile gleichgeschlechtliche Gänsepärchen in der sozialen Hierarchie genießen: „Als Single ist man in der Gänseschar unten durch. Als gebundenes Paar steht man in der Mitte und als gebundenes Paar mit Nachwuchs an der Spitze der Hierarchie.“ So zeigte die Auswertung der Lebensgeschichte von 352 Gänsemännchen (Ganter), dass diese in einer Beziehung mit einem Männchen einen guten sozialen Status haben. Kotrschal bezeichnet dies als „homo-soziales Verhalten“.

Interessanterweise steigt die Wahrscheinlichkeit für homosoziale Bindungen mit der Anzahl an gescheiterten Beziehungen. „Gänse können ein Leben lang monogam zusammen bleiben. Doch wenn ein Partner stirbt oder die Paare sich im Streit trennen, muss der Single wen neuen suchen.“ Nach einer gescheiterten Beziehung gehen 40 Prozent der Ganter eine „Homo-Ehe“ ein, nach der fünften Beziehung sogar 80 Prozent. Weibchen haben weniger Druck bei der Partnersuche, denn sie leben in Schwestern-Clans, die füreinander sorgen. „Echte homosexuelle Orientierung, also Ganter, die in ihrem ganzen Leben nie mit Weibchen kopulieren, gibt es auch.“ Zwar ist der Prozentsatz niedrig, aber es zeigt einwandfrei, dass gleichgeschlechtliche Neigungen in der Natur vorprogrammiert sind. Kotrschal berichtet auch von Dreier-Beziehungen, in denen sich ein junges Weibchen dem verpaarten Ganter-Paar anschließt.

Berühmt für ihre ménage à trois sind auch Bartgeier, die dank dem Richard Faust-Bartgeier-Zuchtzentrum in Haringsee wieder in Österreich beheimatet sind. „Rund ein Drittel der frei lebenden Partnerschaften bestehen aus Trios, bei der sich die beiden Männchen und das Weibchen gemeinsam um Brut und Aufzucht kümmern“, erzählt Hans Frey von der Veterinärmedizinischen Uni Wien. Das Weibchen paart sich bis zur Eiablage häufiger mit dem dominanten Männchen, danach öfters mit dem anderen, und die Männchen paaren sich auch miteinander.

Als Hans Frey zu Beginn des Bartgeier-Projekts ein Vogelpärchen geschenkt bekam, war es verwunderlich, warum das vermeintliche Weibchen keine Eier legen konnte. Erst nach dem Tod des Tieres erkannten die Wissenschaftler, dass es sich um ein schwules Pärchen gehandelt hatte. „Das Verhalten rein männlicher Paare ist nicht von dem verschieden geschlechtlicher zu unterscheiden“, berichtet der Experte. Damals bot er dem vermeintlich heterosexuellen Paar künstliche Eier an, um die Eiablage zu stimulieren. Er beobachtete, wie die Männchen das unechte Ei bebrüteten und entdeckte so eine Methode, die Bartgeierzucht zu verbessern.

Überzählige Männchen werden nun in der Gehegehaltung paarweise zusammengesetzt, worauf sie sich bald miteinander vergnügen. Jubelt man den beiden ein Ei unter, das es sonst nur über menschliche Handaufzucht geschafft hätte, nehmen sich die Bartgeiermännchen der Brut an und ziehen gemeinsam das Junge auf. So werden homosexuelle Bindungen im Zuchtnetzwerk der Europäischen Zoos sinnvoll eingesetzt.

Aristoteles beschrieb homosexuelle Tiere

Freilich wird Homosexualität häufiger bei Tieren in Gehegehaltung beobachtet, aber bloß, weil Tiere in Gefangenschaft genauer beobachtbar sind. Dass homosexuelle Pärchen auch in freier Wildbahn Teil der natürlichen Vielfalt sind, zeigte die Ausstellung „Wider die Natur?“ 2007 in Oslo, bei der das „Naturhistorisk Museum“ einen Großteil der über 1500 Tierarten mit homosexuellem Verhalten präsentierte. Dort erfuhren die Besucher in familienfreundlicher Umgebung, dass schon Aristoteles vor 2300 Jahren schwule und lesbische Hyänen beschrieben hatte und dass homosexuelles Verhalten bei Meerschweinchen nicht nur Hansi und Franzi betrifft, sondern durchaus üblich ist: Etwa fünf Prozent der Männchen gehen – vor allem langfristig – Partnerschaften mit dem gleichen Geschlecht ein.

HOMOSEXUALITÄT BEI TIEREN

Wider die Natur? So hieß eine Ausstellung in Oslo, die einen Großteil der Tierarten mit homosexuellem Verhalten – unter internationaler Beachtung – präsentierte.

Wider die Evolutionstheorie? So beurteilen manche den Umstand, dass homosexuelle Tiere nicht der Darwin'schen Regel entsprechen, die Natur sei auf maximalen Fortpflanzungserfolg ausgerichtet.

Gegen diese Meinungen wenden sich viele Forscher. Nachlesen kann man das etwa in dem Buch „Homosexual Behaviour in Animals“. Die Autoren erklären darin, dass Homosexualität Teil der natürlichen Vielfalt ist und schwule und lesbische Beziehungen oft Vorteile im Tierreich bringen.

Homosexual Behaviour in Animals: An Evolutionary Perspective; Herausgeber: Volker Sommer und Paul L. Vasey,
Cambrigde University Press, 2006

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2008)

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