Zellbiologie: Die Halsketten der Muskelfilamente

(c) EPA (Laurent Gillieron)
  • Drucken

Die Universität Salzburg geht bei der Muskelforschung in die Tiefe der Filamente und entdeckte, dass leichte Myosinketten für die Geschwindigkeit einer Muskelkontraktion mitverantwortlich sind.

Man stelle sich folgende Hürde im Englischunterricht vor: Wie spricht man muscle (Muskel) so aus, damit es der Brite nicht als mussel (Muschel) versteht? Wer daran schon scheitert, sollte es nicht mit folgendem Wort versuchen, an dem die Zellbiologie der Uni Salzburg forscht: Muschelmuskel. Stefan Galler und sein Team wollten wissen, wie Muscheln es schaffen, ihre Schalen geschlossen zu halten, ohne dabei Energie zu verbrauchen.

Hier ist ein Exkurs in den Biologieunterricht angebracht: Wo wird in den Muskeln Energie aufgewendet? Zerlegt man einen Muskel in seine einzelnen Zellen (Muskelfasern), so findet man darin Bestandteile, die Kontraktionen bewerkstelligen: Aktin- und Myosinfilamente. Die dicken Myosinfilamente, die wie Schöpflöffel einen langen Stiel und seitlich abstehende Köpfchen besitzen, liegen zwischen den dünnen Actinfilamenten, die Ansatzpunkte für die Myosinköpfchen bieten. Während einer Muskelkontraktion haken die Myosinköpfchen dort ein und ziehen das Actinfilament mit einer „Nickbewegung“ oder Ruderschlag tiefer in die Myosinschicht. Die Energie wird benötigt, um die Actin-Myosin-Bindung zu lösen und die Abfolge der Ruderschläge möglich zu machen. Muss der Muskel für eine plötzliche Bewegung einsatzfähig sein, verbraucht auch das Halten der Actin-Myosin-Bindung Energie (wie jeder nachvollziehen kann, der je im Bereitschaftsdienst gewartet hat, in kurzer Zeit von „Null auf Hundert“ zu gehen).

Sperrzustand im Muskel entdeckt

„Über ein halbes Jahrhundert nahm man an, dass bei Muschelmuskeln die Myosinköpfchen extrem langsam arbeiten, sodass die Kraft gehalten wird, ohne Energie zu verbrauchen“, erzählt Galler. Sein Team löste in Experimenten die Myosin-Actin-Interaktion der Sperrmuskeln auf und siehe da: Der Sperrmechanismus ließ sich nicht zerstören. Darum vermuten die Wissenschaftler, dass es zusätzlich zu den beiden bekannten Muskelzuständen von „ruhend“ und „aktiviert“ einen dritten – grundsätzlich verschiedenen – Zustand der Muskelfasern gibt: den Sperrzustand. Dabei dürften passive Zusatzelemente die Verbindung der Muskelfilamente ermöglichen – ohne den Einsatz von Myosinköpfchen und somit ohne Energieverbrauch. Diese grundlegende Erkenntnis könnte auch Phänomene im menschlichen Körper erklären wie die energiesparende Methode der glatten Muskulatur, die unsere Arterien umgibt und den regelmäßigen Blutkreislauf ermöglicht.

Nach dem Kippen des Dogmas der Sperrmuskeln gingen die Salzburger Forscher daran, ein weiteres Kapitel des Lehrbuchwissens neu zu schreiben: Die verschiedenen Arten (Isoformen) der schweren und leichten Myosinketten. Schwere Myosinketten bilden „Stiel“ und Köpfchen, wenn man beim Schöpflöffel-Vergleich bleibt, leichte Myosinketten liegen um den Hals der Myosinköpfchen.

„Früher dachte man, die leichten Myosinketten verleihen dem Hals lediglich Stabilität“, berichtet Galler. Doch die Salzburger erkannten, dass die leichten Myosinketten für das „Fine-Tuning“ der Geschwindigkeit von Kontraktionen verantwortlich sind. Das grobe Tuning der Kontraktionsgeschwindigkeit übernehmen die schweren Myosinketten: Langsame Muskulatur, die unseren Körper stützt und aufrecht hält, besteht vermehrt aus langsamen Fasertypen, dem Myosinketten-Typ 1. Sie können bei wenig Energieverbrauch hohe Kräfte aufrechterhalten. Muskeln, die zur Bewegung benötigt werden, bestehen vornehmlich aus dem Myosintyp 2, den „schnellen“ Fasern.

Muskeln sind sehr wandelbar

„Das Ziel von Ausdauertraining ist, immer mehr schnelle Muskelfasern durch langsame zu ersetzen. Je mehr langsame Fasern im Muskel sind, umso energiesparender wird die Kraft entwickelt“, erklärt Galler den Trainingseffekt. Das Spannende daran ist, dass Muskeln im erwachsenen Menschen überhaupt wandelbar sind: „Es ist eine Ausnahme, dass die Genexpression derart veränderbar ist.“ Die Salzburger fanden nun erstmals heraus, dass schnelle schwere Myosinketten oft mit langsamen leichten Ketten kombiniert sind und umgekehrt.

Erst die Vielfalt an Kombinationen ermöglicht die individuelle Abstimmung von schneller und langsamer Kontraktion. Wozu man die braucht? Heben Sie mal ein Blatt Papier und dann ein ganzes Buch oder bedienen Sie ein Pinzette und dann eine Kombizange. Ohne die Abstimmung von schneller und langsamer Kontraktion wäre die Vielfalt an Einsatzmöglichkeiten unserer Muskeln nicht vorstellbar.

MUSKELFILAMENTE

In der Muskelzelle (Muskelfaser) gibt es kontraktile Elemente (Myofibrillen) mit dicken Myosinfilamenten und dünnen Actinfilamenten. Bei einer Kontraktion zieht das Myosin die Actinfilamente näher zueinander. Die Geschwindigkeit der Kontraktion wird von schweren und leichten Myosinketten bestimmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.