Sprache: Am Anfang kam das Prädikat zuletzt

(c) AP (Joerg Sarbach)
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Aus Experimenten mit gestischem Ausdruck schließen US-Forscher: In der „natürlichen“ Grammatik kommt das Objekt vor dem Verb.

„Wann übersetzen Sie denn endlich?“, fragte ein französischer Politiker ungeduldig seinen Dolmetscher. „Psst!“, antwortete dieser: „Ich warte noch auf das Verb.“ Die Anekdote illustriert, dass Unterschiede in der Grammatik sich ganz trivial aufs Verständnis ausüben können; der kluge Übersetzer Georges-Arthur Goldschmidt hat noch tiefer geblickt: In „Und Freud wartet auf das Wort“ erklärt er die deutsche Satzordnung – in der zumindest im Nebensatz das Verb am Schluss kommt – als fruchtbar für die Psychoanalyse und für den Witz, in dem ja auch stets die Pointe zuletzt kommt.

Geradezu anarchisch mutet auch Deutschsprachige die Freiheit an, in der die alten Römer ihre Sätze bilden konnten, dank der ausgeprägten Flexionen, die eben auch ohne fixe Ordnung klar machten, wer oder was da Subjekt und wer oder was Objekt ist. Ganz gegensätzlich das Englische: Es ist arm an Flexionen, bei einem normalen Substantiv kann man nicht einmal „subject case“ (Nominativ) und „object case“ (Dativ/Akkusativ) unterscheiden – dagegen hilft die strenge Ordnung im Satz: SPO, subject – predicate – object, und auch die Adverbien haben ihre reservierten Plätzchen (nie zwischen Prädikat und Objekt).

Ist das die „natürliche“ Satzordnung? Dafür spricht, dass SPO in vielen heute wichtigen Sprachen herrscht, z. B. im Englischen, Französischen, Spanischen und Chinesischen. Doch nicht in allen Sprachen: Im Türkischen und Japanischen kommt das Prädikat nach dem Objekt (SOP), im Gälischen vor dem Subjekt (PSO). Laut Sprachforscher Steven Pinker sind SPO und SOP am häufigsten; PSO ist seltener, POS und OPS sind sehr selten, OSP kommt gar nicht vor.

Wir sprachen zuerst mit den Händen

Auch Rekonstruktion von „Ursprachen“ hilft nicht weiter, so ist bis heute unklar, welche Ordnung im Proto-Indoeuropäischen dominierte. Einen ganz anderen Zugang wählten nun Psychologen und Linguisten um Susan-Goldin Meadow (University of Chicago): Sie untersuchten die Grammatik der Gesten. Das ist nicht abwegig: Viel spricht dafür, dass die Gestik der eigentliche Vorläufer der gesprochenen Sprache war: Unsere Ahnen redeten zuerst mit den Händen, dann erst mit dem Mund. Das äffische Pendant zum menschlichen Sprachzentrum, in dem die Grammatik sitzt, dem Broca-Areal, ist aktiv, wenn die Affen gestikulieren. Mehr noch: Auch bei Menschen ist das Broca-Areal auch aktiv, wenn sie „nur“ mit Gebärden sprechen.

Also spielten die Forscher 40 Testpersonen mit vier Muttersprachen  – Englisch, Chinesisch, Spanisch, Türkisch – simple Video-Sequenzen vor, z. B.: Eine Frau dreht an einem Knopf; ein Mädchen gibt einem Mann eine Blume. Dann baten sie die Personen, diese Szenen erstens in Worten und zweitens nur mit den Händen zu beschreiben. Bei der Beschreibung mit Worten folgten die Personen, wie zu erwarten war, der in ihrer Sprache üblichen Ordnung. Wenn sie sich aber in Gesten ausdrückten, stellten sie zuerst das Subjekt, dann das Objekt (die Objekte) und dann erst das Prädikat dar. Also: SOP. Auch in Gebärdensprachen, die gehörlose Kinder von sich aus bilden, herrscht diese Satzstruktur vor.

In ihrer Publikation (Pnas, 105, S. 9163) komplizieren die Forscher die Sache, indem sie statt „Subjekt“ „actors“, statt „Objekt“ „patients“ und statt Prädikat „act“ sagen; doch es ist klar: Ihr Ergebnis spricht gegen die Hypothese, dass die (erlernte) Sprache das Denken prägt. Eher umgekehrt: Es gibt im menschlichen Geist eine „natürliche“ Ordnung, um Ereignisse zu „repräsentieren“. Warum so viele Sprachen dann doch von dieser abweichen, wäre noch zu klären.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2008)

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