Malaria, Schöpfer der Menschheit?

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Ein Zucker in den Zellmembranen unterscheidet uns von Menschenaffen. Er schützte vor Krankheit.

Worin unterscheidet sich der Mensch vom Schimpansen? In den Genen findet sich kaum etwas – nichts Großartiges –, dabei sehen wir kenntlich anders aus, wir leiden auch an anderen Krankheiten, bei Schimpansen hat man etwa noch nie Arthritis oder Asthma beobachtet. Und sie erkranken auch nicht an Plasmodium falciparum, dem Malariaerreger, der Menschen plagt, sie werden von einem ganz anderen befallen, P.reichenowi, der wiederum geht nicht auf Menschen.

Vielleicht ist er der Schlüssel zu unserer Geschichte. Das vermutet Ajit Varki, ausgebildeter Arzt, der 1984 in San Diego an einer Patientin etwas beobachtete, was schon viele Ärzte beobachtet hatten, die „Serum-Krankheit“: Sie kann dann kommen, wenn Menschen mit Blutserum von Tieren behandelt werden, etwa dem von Pferden, Varkis Patientin reagierte mit Nesselausschlägen auf die Proteine der anderen Art. Aber es ging nicht nur um Proteine, Varki fand noch etwas: Es lag auch an Sialinsäuren, zuckerähnlichen Molekülen in Zellmembranen.

Sialinsäure leicht verändert...

„Wie kann es eine Reaktion auf Sialinsäuren geben, alle Säugetiere haben sie?“, fragte sich Varki und arbeitete sich in Glykobiologie (Biologie der Zucker) ein. 1998 verglich er Blutproben von Schimpansen, Bonobos, Gorillas, Orangutans und Menschen: Die ersten vier haben die Sialinsäure Neu5Gc, der fünfte nicht, er hat eine andere, Neu5Ac. Die chemische Differenz ist minimal – die menschliche Variante hat ein Sauerstoffatom mehr –, die Wirkungen sind dramatisch, von ihnen kommen möglicherweise die unterschiedlichen Krankheiten.

Und umgekehrt. Die Variante des Menschen kommt vermutlich von einer der Krankheiten: Affenmalaria dockt an Neu5Gc an, an Neu5Ac nicht, es schützt vor der Malaria der Affen, aber nicht der der Menschen. Varki vermutet deshalb, dass die Menschen ihre Variante zum Schutz vor Affen-Malaria entwickelt haben (Pnas, 102, S.12819) – und dass sich im Gegenzug die Menschen-Malaria entwickelt hat (die hatte dann selbst wieder Einfluss auf die Evolution, weil zu ihrer Abwehr neue Mutationen beim Menschen kamen, eine davon macht ihre Träger heute empfindlicher auf HIV).

...Körper stark verändert

Die neue Variante kommt von der Mutation eines Gens – für ein Enzym, das Neu5Ac in Neu5Gc umwandelt –, aber die Folgen betreffen den ganzen Körper, Sialin-Säuren spielen viele biologische Rollen, etwa bei der Kommunikation der Zellen. Und wenn man bei Mäusen gentechnisch deren Neu5Gc ausschaltet und sie mit unserem Neu5Ac ausstattet, bekommen sie seltsam menschenähnliche Eigenschaften, ihre Wundheilung dauert länger, sie werden im Alter schwerhörig (Molecular and Cellular Biology, 27, S.4340). Aber nicht nur Mäuse und Affen haben Neu5Gc: Varki hat im Supermarkt Fleisch gekauft, die höchsten NeuG5-Gehalte fand er in Schaf, Schwein und Rind. Dann ging er an ein Selbstexperiment, verzehrte das Fleisch und analysierte sein Blut: Neben seinen eigenen Glykoproteinen fanden sich auch die der Tiere. Sie kommen also, auch wenn wir sie nicht produzieren, in den Körper, vielleicht machen sie krank (Pnas, 100, S.12045).

Damit ist der Forscher wieder bei seiner alten Profession, der ärztlichen. Er hat sich aber auch eine Zusatzqualifikation erworben, ist Paläoanthropologe geworden. Nur dort kann er den Schlussstein seines Gedankengebäudes finden: Er will Fossilien früher Menschen analysieren, um herauszufinden, wann die Mutation kam: Zunächst wird das an 600.000 Jahre alten Funden versucht – Homo antecessor aus Spanien –, dann an den wirklichen Wurzeln: Varki vermutet, die Mutation sei vor zwei Millionen Jahren gekommen – kurz bevor Homo erectus sich erhob (Nature, 454, S.21).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2008)

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