Schlafforschung: Auch Kakerlaken brauchen ihren Schlaf

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Die Biologen rätseln, wozu der Schlaf gut ist. Zwei Forscher behaupten nun immerhin, er sei essenziell.

„Ein reversibler Zustand herabgesetzter Reaktivität, für gewöhnlich mit Unbeweglichkeit verbunden“ – keine elegante Definition für Schlaf, die die US-Forscher Chia Cirelli und Giulio Tononi in PlOS Biology (6, e216) geben, aber wem fiele eine bessere ein? Und wer kann sagen, warum und wozu wir schlafen? Die beiden vergleichen die Funktion des Schlafs mit dem „arabischen Phoenix“, über den Alfonso in „Così fan tutte“ sagt: „Che vi sia, ciascun lo dice, dove sia, nessun lo sà.“ Alle sagen, es gibt einen, keiner weiß, wo.

Ist Schlaf vielleicht gar nicht essenziell, sondern nur ein fauler Zustand, in den Tiere verfallen, wenn sie keine dringenden Bedürfnisse haben? Cirelli und Tononi prüfen diese „Null-Hypothese“, indem sie drei Sätze prüfen, die sich aus ihr ergeben: Es gibt (1) Tiere, die gar nicht schlafen, (2) Tiere, die versäumten Schlaf nicht nachholen, (3) Tiere, denen Schlafmangel nicht schadet. Alle drei Behauptungen lassen sich nicht belegen, sagen die Autoren.

Tatsächlich fristen etliche Tiere ihr Leben nur scheinbar schlaflos. Die Delfine etwa, die sich immer bewegen. Bei ihnen zeigt zwar nicht das ganze Hirn die für Schlaf typischen langsamen Wellen, aber jeweils eine Hälfte. Die andere wacht. Diese Spezialisierung belege, dass der Schlaf essenziell sei und nicht einfach abgeschafft werden könne, meint Cirelli. Umstritten war auch, ob manche Korallenfische schlafen. Neuere Daten legen nahe, dass sie sozusagen „schlafschwimmen“. In diesem Zustand sinkt auch ihre Reaktionsfähigkeit, was sich u.a. darin äußert, dass sie häufiger gefressen werden.

Auch Kakerlaken sterben, wenn sie dauerhaft schlaflos bleiben. Und auch Fliegen holen versäumten Schlaf nach – und wirken groggy, wenn man sie jäh weckt. Der Teil des Nervensystems, der bei ihnen des Schlafs bedarf, sind die „mushroom bodies“, die funktionell dem Großhirn ähnlich sind. Bei Wirbeltieren brauchen ja auch nicht alle Teile des Hirns gleichermaßen Schlaf, sondern eher die „höheren“, mit Aufmerksamkeit, Urteilen und Lernen befassten.

Ein grober Mangel der Argumentation von Cirelli und Tononi: Ihre Behauptung, dass alle Tiere schlafen, ist völlig unbelegt. Vielmehr wissen wir nur von Tieren aus zwei Stämmen, dass sie schlafen: von Wirbeltieren und Insekten. Schlafen Ringelwürmer? Fadenwürmer? Seesterne? Schwämme gar? Das wäre eine interessante Frage: Wie groß und wie strukturiert muss ein Nervensystem sein, um müde zu werden? Oder: Wie viele Synapsen braucht man, um zu schlafen? Aber: Wie prüft man, ob ein Würmchen schläft?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2008)

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