Pharmastreit: Die sieben Klagen

Butterbrot mit Pillen
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Für Forschung werden 15 Prozent, für Marketing bis zu 40 Prozent des Umsatzes ausgegeben. Nur drei bis 15 Prozent aller neuen Medikamente enthalten innovative Wirkstoffe.

Die Pharmaindustrie und die Medizinerschaft stehen seit dem Erscheinen des Buches "Korrupte Medizin" von Hans Weiss wieder unter gehörigem öffentlichen Druck. "Die Presse" überprüft sieben Thesen, die nun oft zu hören sind, auf ihre Stichhaltigkeit.

1 Die Pharmaindustrie forscht viel zu wenig.

Marketing ist der viel größere „Geldfresser“ als die so gern präsentierte Forschung: Die macht etwa 15 Prozent einer Produktentwicklung aus, fürs Marketing werden bis zu 40 % ausgegeben. „Wir müssen dann alle die hohen Medikamentenpreise bezahlen“, ärgert sich Claudia Wild, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für „Health Technology Assessment“.

Es gibt aber auch Gegenbeispiele: So sponsert der deutsche Konzern Boehringer-Ingelheim in Wien das IMP, das reine Grundlagenforschung durchführt, die auf absehbare Zeit keine Profite abwirft – höchstens ein paar Patente.

2 Medikamente sind zu teuer.

Der Anteil der Marktpreise der Wirkstoffe am Verkaufspreis eines Medikaments wird auf durchschnittlich zwei Prozent geschätzt. Acetylsalicylsäure zum Beispiel ist ein recht simples Molekül – und daher eine wahre Goldgrube für die Firma Bayer, die den Markennamen „Aspirin“ hält. Allerdings sind in den Medikamentenpreisen neben Produktions-, Transport- und Marketingkosten – und den Gewinnen der Firmen – auch Kosten für Forschung und Entwicklung inkludiert.

3 Die meisten neuen Medikamente sind Scheininnovationen.

Laut Schätzungen von Gesundheitsökonomen und Krankenkassen enthalten nur drei bis 15 Prozent aller neuen Präparate wirklich neue Wirkstoffe. Manche Medikamente werden nur deswegen leicht verändert, damit der Patentschutz länger läuft. Allerdings betont die Pharmaindustrie, dass auch „bloße“ neue Zubereitungen einen Fortschritt für Patienten bringen können: wenn man etwa ein Medikament nicht mehr täglich, sondern nur mehr alle zwei Wochen einnehmen muss.

4 Die Industrie tut nichts gegen Krankheiten der Armen.

Musterbeispiel ist Malaria: Es gibt zwar Medikamente – teure für Touristen –, aber keinen Impfstoff. In diese (Finanz-)Lücke springen Stiftungen wie die von Melinda und Bill Gates ein, die viel in die Bekämpfung von Tropenkrankheiten investieren. Ein Problem sind die Patente: Für gewöhnlich darf auch in Entwicklungsländern niemand ein Medikament billig produzieren, auf das die Pharmariesen Patente halten. Andererseits betreiben manche großen Pharmakonzerne spezielle Forschungsinstitute für Bedürfnisse der Dritten Welt. Das Problem bleibt: Wer bezahlt im Endeffekt die Medikamente?s

5 Die Pharmaindustrie tut nichts gegen sehr seltene Krankheiten.

Das kann man ihr schwer vorwerfen: Es gibt über 4000 Erbkrankheiten, die von der Mutation eines Gens kommen, die meisten davon sind extrem selten. Sie sind zwar für die Forschung interessant, aber Pharmakologie ist eben teuer und aufwendig: Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert zehn Jahre und kostet bis zu zwei Milliarden Euro. Nur wenn ein Medikament an genügend Patienten verkauft werden kann, rechnet sich das. Bei den seltenen Krankheiten springt die öffentliche Hand ein: Die EU und die USA verleihen einen „Orphan Drug“-Status mit vereinfachtem Zulassungsverfahren und Marktmonopol. s

6 Die Pharmaindustrie bestimmt, was publiziert wird.

Tatsächlich werden Ergebnisse von Studien, die von der Pharmaindustrie gefördert werden, oft nur publiziert, wenn sie „positive“ Ergebnisse bringen: Bei Antidepressiva etwa fand eine Studie, dass 94 Prozent der positiven Tests publiziert worden waren, aber nur 14 Prozent der negativen. Zweites großes Problem ist die Verschleierung der wirklichen Autoren: Studien werden von Mitarbeitern der Firmen durchgeführt, die unter den Autoren der Publikation nicht auftauchen. Die anerkannten Fachzeitschriften spielen eine ganz wichtige Rolle dabei, die Verflechtungen zwischen Pharmaindustrie und forschenden Medizinern transparent zu machen: Sie verlangen nämlich von ihren Autoren, „conflict of interests“ zu deklarieren. Darunter fallen alle Zahlungen, die sie von der Industrie erhalten.

7 Die Ärzte haben sich der Pharmaindustrie ausgeliefert.

In Entwicklung und Erprobung von Medikamenten ist die Pharmaindustrie auf Mediziner angewiesen. Es ist auch nicht verwerflich, sondern gilt sogar als Zeichen wissenschaftlicher Qualifikation, wenn ein Arzt in „Advisory Boards“ von Pharmafirmen sitzt.s Anders ist es, wenn sich Pharmafirmen Ärzte als „Meinungsbildner“ halten und sie zwar nicht offen bezahlen, aber ihnen als „Dank“ für Gefälligkeiten (Durchführung fragwürdiger Studien, Propaganda für Medikamente) z. B. überhöhte Vortragshonorare zukommen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2008)

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