Triumph der Theorie: Das errechnete Proton

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Computerphysik. Die Quantenchromodynamik ergibt die richtigen Massen für die Teilchen im Atomkern.

Wenn es Frühling wird in der Schweiz, wird der „Large Hadron Collider“, als „Urknallmaschine“ ins Gerede gekommen, wieder angeworfen – zumindest erwarten das die Physiker am Cern in Genf. Dann hoffen sie, wird mithilfe des LHC das Higgs-Boson nachgewiesen werden: das Teilchen, das allen anderen ihre Masse verleiht.

So las man das. Aber es ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn der größte Teil der Masse der Atomkerne – und damit der größte Teil der Masse der sichtbaren Materie überhaupt – ist schlicht Energie. Bindungsenergie. Für die Teilchen in den Atomkernen – Protonen und Neutronen – gilt eine Variation des alten holistischen Credos: das Ganze ist schwerer als die Summe der Teile. Viel schwerer.

Drei Quarks!

Was sind die Teile? Sowohl das Proton als auch das Neutron besteht laut gängiger Lehre aus jeweils drei Quarks. Das sind die Teilchen, deren Existenz der US-Physiker Murray Gell-Mann 1964 postulierte und die er nach einer Zeile aus James Joyces „Finnegans Wake“ benannte: „Three quarks for Muster Mark!“ 1969 erhielt er den Nobelpreis dafür, dass er Ordnung in einen beachtlichen Zoo von Teilchen – den Hadronen, zu denen z.B. das Proton und das Neutron zählen – gebracht hatte, indem er erklärte, dass sie aus noch kleineren Teilchen, den Quarks, zusammengesetzt sind.

„Zusammengesetzt“ ist dabei ein allzu schwaches Wort, „zusammengeklebt“ würde schon besser passen: Denn die Quarks in einem Hadron sind derartig stark verbunden, dass man kein Quark je auf Erden allein und frei gesehen hat. Sie sind eingesperrt, „confinement“ nennen das die Physiker. Und die starke Kraft, die sie einsperrt, heißt eben „starke Kraft“.

Der Klebstoff der starken Kraft

Beschrieben wird diese Kraft, wie sich das gehört, durch eine Quantenfeldtheorie. Was im Grunde bedeutet, dass die Kraft, die die Teilchen – diesfalls die Quarks – zusammenhält, selbst in Teilchen verkörpert ist. Anders gesagt: dass das Feld aus Teilchen besteht. Bei der Kraft, die uns am vertrautesten ist, der elektromagnetischen Kraft, sind das die Photonen, Lichtteilchen – die einzigen Teilchen übrigens, die wir sehen können. Wie die Photonen mit anderen Teilchen wechselwirken, das beschreibt die bewährteste Quantenfeldtheorie: die Quantenelektrodynamik, QED abgekürzt.

Die starke Kraft wird durch andere Teilchen vermittelt: die Gluonen, die nach „glue“ (Klebstoff) heißen, weil die starke Kraft eben gar so klebrig ist. Beschrieben wird sie durch die Quantenchromodynamik, QCD. Der Wortteil „chromo“ kommt offensichtlich vom griechischen Wort für Farbe – was nicht heißt, dass diese Kraft etwas mit echten Farben zu tun hat, für die ist schon noch die gute alte QED zuständig.

Aber so wie die elektromagnetische Kraft über eine Teilchen-Eigenschaft wirkt, die man „Ladung“ nennt, so wirkt die starke Kraft über eine Teilchen-Eigenschaft, die die Physiker „color“ („Farbladung“) nennen. Diese Eigenschaft kann drei Werte annehmen, die konsequenterweise „rot“, „grün“ und „blau“ heißen. Die Quarks tragen eine Farbladung – und die Gluonen auch.

Das Feld, das auf sich selbst wirkt

Das ist einer der Gründe, warum die QCD so viel schwieriger ist als die QED. Das Teilchen, das die elektromagnetische Kraft verkörpert, das Photon, hat selbst keine Ladung. Die Teilchen, welche die starke Kraft übertragen, die Gluonen, haben dagegen selbst eine Farbladung. Anders gesagt: Das Feld der starken Kraft ist mit sich selbst in Wechselwirkung. Das macht seine mathematische Beschreibung so tückisch.

Dazu kommt, dass es in der QCD schlicht und einfach mehr Teilchen gibt, die miteinander wechselwirken und dass sie stärker wechselwirken. In einer Quantenfeldtheorie muss man ja immer alle möglichen Wechselwirkungen berücksichtigen: nicht nur die von Teilchen, die „wirklich da“ sind, sondern auch die von diversen „virtuellen“ Teilchen. Selbst das Vakuum ist für Quantenfeldtheoretiker kein leerer Raum, sondern voller Teilchen, die (paarweise) entstehen und wieder verschwinden. Und dazwischen miteinander wechselwirken.

All diese Prozesse zu beschreiben, das klingt unmöglich. Dass es in der QED doch möglich ist – und Resultate bringt, die sehr gut mit den Messergebnissen übereinstimmen –, liegt daran, dass die Wechselwirkungen immer schwächer werden, je „höher“ sie sind, umso mehr Teilchen sie betreffen. Das heißt, man kann mehr oder weniger „höhere“ Beiträge vernachlässigen, je nachdem, wie genau man sein will.

In der QCD ist das anders: man müsste unendlich viele Beiträge berücksichtigen, und das geht nicht.

Um doch zu Ergebnissen zu kommen, wurde schon 1974 eine Methode namens „Gitter-Eichrechnung“ erfunden. Sie beruht im Prinzip darauf, dass man das Feld nicht an allen Orten und zu allen Zeiten berechnet, sondern nur an bestimmten Punkten der Raumzeit. Man teilt diese in ein (vierdimensionales) Gitter und berechnet das Feld nur an diesen Punkten. Erst wählt man ein ganz grobes Raster, dann verfeinert man es allmählich – bis man schließlich extrapolieren kann, welche Resultate sich für unendliche Verfeinerung ergeben würden.

Supercomputer im Dauereinsatz

Trotz dieser Vereinfachung bleibt die QCD eine Knochenarbeit für Programmierer und Computer. So ist es auch ein Triumph etlicher EDV-Spezialisten, wenn nun in Science (322, S.1224) ein Artikel mit dem schlichten, stolzen Titel erscheint: „Ab Initio Determination of Light Hadron Masses.“ Gedacht und gerechnet haben dafür theoretische Physiker um Stephan Dürr am John-von-Neumann-Institut für Computing in Zeuthen, Deutschland.

„Leichte Hadronen“, darunter fallen vor allem das Proton und das Neutron, aber auch etliche eher kurzlebige Teilchen wie Kaonen oder Hyperonen.

Es ergab sich etwa für das Neutron eine Masse von 936 Megaelektronenvolt (MeV), der gemessene Wert beträgt 939,5 MeV, in alltäglicheren Einheiten 1,7?10–27 Kilogramm. Nur ein kleiner Teil davon, weniger als 18 MeV, stammt aus den Input-Massen der drei Quarks. Der Rest ist Energie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2008)

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