Gehirn steuert Computer: Die Prothesen der Zukunft

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Neue Schnittstellen könnten verlorene Körperfunktionen komplett ersetzen. Prothesen könnten direkt an das Nervensystem angeschlossen werden.

Amputierte bekommen ihre Gliedmaßen zurück. Gelähmte können wieder einen Computer bedienen und Kaffee trinken. Bloß mit der Kraft ihrer Gedanken. Die Technik, elektrisch messbare Befehle des Gehirns in computerfähige Daten zu übersetzten, verspricht spektakuläre Anwendungen: Prothesen könnten direkt an das Nervensystem angeschlossen werden.

Eine Prothese, die bereits mit Gedanken gesteuert wird, ist der Armersatz von Christian Kandlbauer – ein Prototyp der Firma Otto Bock in Wien. Bei einem Starkstromunfall verlor der 22-jährige Steirer beide Arme ab der Schulter. Jetzt träumt er davon, den Führerschein zu machen. Vor zwei Jahren hatte ihm ein Ärzteteam am AKH fünf Nerven, die zu seiner Schulter führten, an Bereiche des linken Brustmuskels genäht. Denkt das Gehirn jetzt an eine Bewegung, wird der entsprechende Muskelteil aktiviert. Die Prothese misst die Spannung auf der Haut – und gibt den Befehl zur Bewegung an kleine Motoren weiter. „So werden die komplexen Bewegungsbefehle der Nerven in eindeutige Signale übersetzt“, sagt der plastische Chirurg Oskar Aszmann.

Doch was tun bei Menschen, die vom Hals abwärts gelähmt sind? Da hilft nur, das Gehirn direkt anzuzapfen. Jeder Gedanke an eine Bewegung löst ein „Feuern“ der Neuronen im Kopf aus. Die Folge ist ein bestimmtes elektrisches Potenzial auf der Hirnrinde, das als Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet werden kann – mit Elektroden in einer Haube. Ein Minirechner, das Brain-Computer-Interface (BCI), filtert das Datenrauschen und übersetzt es in ein binäres Signal. Damit kann die sonst hilflose Person einen Computer steuern – der etwa einen Cursor bewegt, das Licht ein- und ausschaltet oder eine Prothese betreibt.

„Wir haben schon einen Gelähmten durch die Straßen von London gehen lassen“, erzählt Professor Pfurtscheller, BCI-Pionier von der TU Graz. Allerdings im Cyberspace. Sein Team forscht an virtuellen Feedbacksystemen. Mit elektrischer Stimulation gelang ihm aber auch ein realer Erfolg: Ein Patient mit gelähmter Hand konnte wieder nach einem Glas greifen und daraus trinken. Das Ziel für die Zukunft ist die Wiederherstellung der Funktion ganzer Arme und Beine. Und nicht nur das. „Zukunftsvision ist eine Prothese, die sich wie echt anfühlt.“

Nervenkonzert aus der ersten Reihe hören

Ein Problem der Neuroingenieure sind die diffusen Signale der EEG-Ableitungen. Warum aber vor der Tür sitzen, wenn man das Neuronenkonzert aus der ersten Reihe hören kann? Das dachte sich ein Team der Brown Universität im US-Bundesstaat Rhode Island. Nach zehnjähriger Vorbereitung implantierte Gerhard Friehs 2004 dem ersten Menschen einen vier Millimeter großen Chip – bestückt mit 100 haarfeinen Elektroden – direkt in den motorischen Kortex. „BrainGate“ heißt das System. „Zum Glück verlief alles problemlos“, sagt der steirische Neurochirurg, der heute in Texas arbeitet. Der erste Patient der Testreihe konnte bald eine Prothesenhand öffnen und schließen.

Vor einem Monat sorgte Probandin Cathy Hutchinson, nach einem Schlaganfall komplett gelähmt, in den USA für Aufsehen: In der CBS-Show „60 Minutes“ steuerte sie einen Rollstuhl per Infrarot durch ihr Zimmer. Nur Platz darin nehmen durfte sie noch nicht. Aus Sicherheitsgründen.

„Natürlich ist Brain-Gate die schnellste und tollste Methode“, sagt Pfurtscheller. In der Praxis gebe es aber Probleme. „Wenn die Gedanken an den Rollstuhl synchron übersetzt werden, darf für den Halt-Befehl aus dem System nichts herauskommen. Man darf nichts denken.“ Das kann schief gehen. Zudem erfordert „BrainGate“ eine schwere Operation. Die Patienten tragen einen Stecker am Kopf, an den ein Kabel angeschlossen wird. „Die Akzeptanz wird aber besser werden“, glaubt Friehs. Sobald Chip und Computer gemeinsam implantiert und die Signale kabellos übertragen werden können: „,BrainGate' 2 wird gerade getestet. Es wird große Fortschritte geben, wenn bis zu 1000 Elektroden implantiert werden können: ein Chip für Sprache, einer für Bewegung etc.“

Bald Brain-Computer-Interface-Spiele?

Bahn frei für den Cyborg? Nein, glaubt Aszmann: „Die Impulsmuster im Kopf sind zu ungenau, die Bewegung eines Daumens kann man zum Beispiel nicht herausfiltern.“ Er sieht die Zukunft aber bereits gekommen – mit einfachen Methoden. Es gelte, mit klaren Signalen zu arbeiten, und durch Nervenverlagerungen dem Patienten über Umwege wieder ein Fühlen der verlorenen Körperteile zu ermöglichen.

Einfache BCI-Anwendungen für den Heimgebrauch könnten schon bald auf den Markt kommen: basierend auf Ja/Nein-Befehlen, mit leicht zu bedienenden EEG-Hauben. Bis zur perfekten Prothese für komplett gelähmte Menschen ist es allerdings noch weit. Den Weg dorthin könnten die NASA und das US-Militär verkürzen. Sie stecken enorme Summen in die BCI-Forschung. Denn wie drückt ein Pilot einen Knopf, wenn sein Körper bei dreifachem Überschall schwer wie Blei ist? Sogar Disney und Microsoft rittern um Patente. Auch der Markt mit BCI-Videospielen boomt.

LEXIKON

Brain-Computer-Interface sind kleine Rechner, die EEG-Signale aus dem Gehirn
so übersetzen, dass gelähmte Patienten damit einen Computer – mit Hilfe ihrer Gedanken – steuern können.

„BrainGate“ wird als kleiner Chip mit haarfeinen Elektroden direkt in das Gehirn eingesetzt. Der erste „BrainGate“-Patient wurde von einem Österreicher behandelt und konnte bald eine Prothesenhand bedienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2008)

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