Löste Staudamm Beben in China aus?

Verdacht wird konkreter, aber Daten bleiben unzugänglich.

Naturkatastrophen liegen per definitionem außerhalb des Einflussbereichs der Menschen, allenfalls Götter werden für sie verantwortlich gemacht. Aber nachdem letzten Mai ein gewaltiges Erdbeben die chinesische Provinz Sichuan erschüttert und 80.000 Menschen getötet hatte, fragten sich Seismologen, ob nicht doch die Hand des Menschen im Spiel war: Der Verdacht richtete sich gegen die riesigen Staudämme, die in China aus dem Boden wachsen. Dass das Folgen haben kann, ist bekannt, die Last des Wassers brachte schon viele kleine Beben, das größte kam 1967 in Indien – durch den Konya-Damm –, es tötete 200 Menschen.

Aber auch das war verhältnismäßig klein – es hatte die Magnitude 6,3 –, das in China brachte es auf 7,9 (das ist viel stärker, die Skala ist logarithmisch, mit jedem Zehntelpunkt verdoppelt sich der Wert). Deshalb richteten sich viele Blicke auf den größten und umstrittensten Stau– den „Drei-Schluchten-Damm“ –, aber der war zu weit weg. Ganz nahe hingegen, nur 5,5 Kilometer vom Epizentrum des Bebens, liegt der Zipungi-Damm. Sein Wasser drückt auf eine tektonische Bruchlinie, seit Dezember 2004, damals wurde eingestaut. Zwei Jahre danach war der See 120 Meter hoch.

Politisch heikel

Ein halbes Jahr später kam das Beben, das würde passen: Erst musste die Erde über der Bruchlinie aufgeweicht werden, dann musste der Druck die Bruchlinie erweitern – dann brauchte es noch eine leichte Entlastung: Eine Woche vor dem Beben wurde rasch viel Wasser aus dem Stau abgelassen. Das ist das Szenario, das inzwischen viele chinesische und westliche Forscher teilen, etwa Christian Klose (Columbia University): Er rechnete bei einer Tagung der American Geological Union im Herbst vor, dass die Last des Wassers das natürliche tektonische Geschehen im weiten Umfeld des Stausees um das 25-fache übersteigt. Aber: Er sprach nur ganz allgemein, erwähnte nicht einmal, um welchen See und welches Beben es ging, es ist offenbar politisch zu heikel.

Trotzdem gehen auch immer mehr chinesische Seismologen an die Öffentlichkeit, sie alle halten das Szenario für plausibel, können es aber nicht prüfen. Weil ihnen die Daten fehlen: Man müsste vor allem wissen, ob während des Einstauens kleine Beben aufgetreten sind. Seismische Messungen gab es, von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Aber die behält ihr Wissen für sich. (Science, 323, S.322) jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2009)

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