Aggressivität, Sohn des Hungers?

Wiener Anthropologen und Biologen präsentieren eine neue Hypothese darüber, wann und warum Männer so geworden sind, wie sie sind. von jürgen langenbach

Männer sind anders, sie gehen eher Risken ein und neigen zu Impulsivität und Aggressivität. Das hat man lange mit dem Sexualhormon Testosteron erklärt, aber das ist nur einer der Spieler, und wohl nicht der zentrale: Bei Vogelmännchen etwa hat sich gezeigt, dass sie in sexuellen Phasen hochaggressiv sind und zugleich viel Testosteron haben – später merkte man, dass sie sich in nicht sexuellen Phasen und mit wenig Testosteron ebenso verhalten.

„Wir vermuten, dass Aggressivität eher von Serotonin gesteuert wird“, berichtet Bernard Wallner (Anthropologie, Uni Wien), der gemeinsam mit Ivo Machatschke (Verhaltensbiologie, Uni Wien) eine neue Hypothese zur Debatte stellt: Sie geht davon aus, dass das Gehirn der heutigen Männer größer ist als das der Frauen – 1300 Gramm gegenüber 1170 –, und dass das auch bei unseren Ahnen so war, als die Männer ausschwärmten, etwas zu erbeuten. Dazu braucht es Risikobereitschaft und Aggressivität, und die stiegen, der Hypothese zufolge, in Zeiten des Hungers.

Denn dann konnte das Gehirn weniger Serotonin aufnehmen. Und zwar deshalb, weil es weniger Cholesterin produzieren konnte. Das muss es aber, weil es Cholesterin für seine Zellen braucht – vor allem in den Verbindungsbereichen, den Synapsen – und weil Cholesterin (vermutlich) nicht aus dem Blut ins Gehirn kommen kann, es muss es selbst synthetisieren. Dazu braucht es Energie – Glukose –, auch die ist in Hungerzeiten knapp.

Das bekommen – wegen des größeren Gehirns – zuerst die Männer zu spüren, mangels Cholesterin sinkt die Aufnahmefähigkeit ihrer Synapsen für Serotonin – das führt zu Aggressivität, heute noch, Wallner verweist darauf, dass manche cholesterinsenkende Medikamente aggressiv machen können (beide Geschlechter, aber nur Männer bekommen auch Mordgedanken).

Das war bei den frühen Menschen beziehungsweise Männern von Vorteil, die Jagdbeute wuchs, am meisten bei Männern mit hoher Risikobereitschaft, sie wurden von den Frauen bevorzugt – „Aggressivität wurde zum sexuell selektierten Merkmal“ (Wallner) –, das trieb die Evolution voran: Die herbeigeschaffte energiereiche Nahrung förderte das Wachstum des Gehirns.

Dann müssen die angriffslustigen Männer nur noch rasch genug von ihrer Beute gegessen haben, um lammfromm zu werden und ihre Aggression nicht gegen Frauen und Kinder zu wenden (Progress in Neuro-Psychopharmacology & Biological Psychiatry, 15.2.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.