Trotz Sanktionen: Eurasische Union sucht Nähe zur EU

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Ein Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok? Trotz der Sanktionen gegen Russland gibt es auch in Europa Stimmen für eine Annäherung zur Eurasischen Wirtschaftsunion. Aber auch Skepsis.

Ohne große Aufmerksamkeit ist zum Jahresbeginn eine Veränderung eingetreten, die erhebliche Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen der EU und Russland haben könnte: Die Regierung in Moskau vertieft ihre Zusammenarbeit mit Kasachstan, Weißrussland und Armenien in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU).

In der EU wird dies als Chance für einen neuen Dialog gesehen. "Die Kontakte mit der Wirtschaftsunion kann man durchaus als Baustein für ein Langfristziel eines kontinentalen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok ansehen", sagt etwa der Russland-Beauftragte der deutschen Regierung, Gernot Erler.

Tatsächlich witterte man in Berlin schon Ende des vergangenen Jahres gerade angesichts der Ukraine-Krise die Chance, im schwierigen Verhältnis mit dem sanktions-belegten Russland einen weniger kritischen Gesprächsstrang entwickeln zu können. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten dies bereits angedeutet. "Wir haben ja nichts dagegen, auch mit Russland, mit Kasachstan, mit Weißrussland durchaus darauf hinzuarbeiten, dass wir einen großen gemeinsamen Wirtschaftsraum haben", hatte etwa die Kanzlerin auf dem EU-Gipfel Mitte Dezember betont.

Bedingungen von Merkel

Nur knüpft Merkel dies an eine Bedingung: Erst müsse es erhebliche Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens für eine Deeskalation in der Ostukraine geben. Auch Erler betont: "Die Kontakte mit der Wirtschaftsunion können die Versuche zur Krisenlösung im Ukraine-Konflikt nicht ersetzen."

Der russische Präsident Wladimir Putin fordert seit langem, dass die EU die Eurasische Wirtschaftsunion als Gesprächspartner ernst nehmen solle, was bisher nicht der Fall war. Immerhin verfügt die EAWU nun über mehr als 180 Millionen Einwohner und soll ein Gegengewicht zur EU bilden. Doch aus russischer Sicht fehlt ein entscheidender Baustein: die Ukraine. Dass sich das Land mit dem EU-Assoziierungsabkommen de facto gegen einen Beitritt zur EAWU aussprach und damit Putins geopolitische Ambitionen erheblich geschwächt hat, wurde in Moskau schon 2013 gerade mit dem Blick auf die eigenen geopolitischen Ziele als Kampfansage empfunden.

Doch obwohl die Ukraine fehlt, treten russische Diplomaten seit Inkrafttreten der neuen EAWU, der sich im Mai auch Kirgistan und später eventuell Tadschikistan anschließen werden, selbstbewusst auf: Die EU könne zunächst mit der EAWU einen zollfreien Raum schaffen statt mit den Amerikanern über ein Wirtschaftsabkommen zu reden, locken sie.

Zölle statt Freihandel

Dieser Vorschlag wird in der deutschen Regierung nicht ernst genommen. Auch Stefan Meister, Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtigen Politik (DGAP), ist skeptisch. "Man sollte nicht übersehen, dass die heutige Eurasische Wirtschaftsunion nichts mit dem Ursprungskonzept zu tun hat." Ursprünglich sei das Projekt als Beitrag zum Freihandel vorangetrieben worden. "Heute fördert die Wirtschaftsunion mit ihren Zöllen, Abgaben und Vorschriften eher Protektionismus und erschwert erst einmal den Handel der Mitglieder etwa mit der EU." Im Vordergrund stehe für Moskau heute, wieder stärkeren auch politischen Einfluss auf die ehemaligen Sowjetrepubliken zu bekommen.

Tatsächlich werden die Motive der Führung in Moskau selbst von den Mitgliedern der Wirtschaftsunion argwöhnisch betrachtet. "Sie startet auf jeden Fall mit Spannungen. Denn Putin hat klar gesagt, dass er die Wirtschaftsunion als Vorstufe einer politischen Union ansieht. Das sehen Kasachstan und Weißrussland aber sehr skeptisch", betont Erler. "Russland will für die Union keine nationale Souveränität aufgeben. Die Größenverhältnisse zwischen den Partnern führen deshalb fast automatisch zu einer russischen Dominanz." DGAP-Experte Meister verweist darauf, dass im Falle Armeniens von einem freiwilligen Beitritt keine Rede sein können. Die auch sicherheitspolitische Abhängigkeit von Russland sei zu groß, als dass die frühere Sowjetrepublik russische Umarmungsversuche ablehnen könne.

Faktor Weißrussland

Dennoch plädiert er genauso für EU-Gespräche mit der EAWU wie auch der Osteuropa-Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung, Reinhard Krumm. "Man sollte sie als Chance ansehen", sagt Krumm. Und Meister sagt: "Die Wirtschaftsunion ist ein Fakt. Die EU sollte frühere Fehler deshalb nicht wiederholen."

Man könne bei Gesprächen mit der Wirtschaftsunion auch stärker in den Dialog mit Weißrussland kommen, das angesichts der russischen Dominanzversuche an intensiveren Kontakten mit dem Westen sehr interessiert sei. Entscheidend sei aber, dass die EU weiter die bilateralen Beziehungen etwa zu Kasachstan pflegen müssten, mahnt Meister. Außerdem dürfe die EU keine Prinzipien aufgeben, nur um mit der Eurasischen Union ins Gespräch zu kommen.

(APA/Reuters)

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