Balcerowicz: "Griechenland ist kein hoffnungsloser Fall"

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Die Krisenländer dürften nicht auf Hilfe aus Brüssel hoffen, sondern müssten sich "selbst heilen", sagt der polnische Ex-Finanzminister Balcerowicz. Polen solle dem Euro erst beitreten, wenn es stark genug ist.

Die Presse: Herr Balcerowicz, Sie sind der Mann, der in Polen die Marktwirtschaft eingeführt hat. Wie konnten Sie die Menschen von den teils heftigen Einschnitten überzeugen, die diese Reform mit sich brachte?

Leszek Balcerowicz: Die Situation war dramatisch, wirtschaftlich ging es uns viel schlechter als heute Griechenland. Politisch aber hatten wir eine gute Lage. Die Menschen hatten verstanden, dass der Sozialismus ein schlechtes System war. Es gab kaum Probleme, die Leute zu überzeugen. Alle Reformen wurden 1989 mit großer Mehrheit angenommen.

Polen ist mittlerweile der Musterschüler der EU. Warum sehen wir in den heutigen Krisenstaaten nur so zögerliche Reformen?

Wie gesagt, wirtschaftlich ging es uns viel schlechter. Wir hatten eine Hyperinflation, eine Depression, totales Chaos in der Wirtschaft. Aber Polen hat gezeigt, was alles funktioniert, wenn man einen Plan umsetzt. Das war nicht nur bei uns so. Schauen Sie sich heute die vermeintlichen Krisenstaaten Portugal und Irland an. Ihnen geht es schon viel besser. Warum? Weil sie Reformen eingeführt haben. Die Volkswirtschaften müssen sich selbst heilen. Und sie können es. Die Heilung selbst ist nicht der wahre Schmerz. Wirklich schmerzhaft wird es, wenn man die Kur gar nicht beginnt.

Wie könnte die aussehen?

Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und Italien ist enorm. Beide Länder haben denselben Fehler gemacht und eine Zweiteilung am Arbeitsmarkt erlaubt. Die Privilegierten sind de facto unkündbar.

Kann es denn eine europäische Lösung für die Schuldenkrise geben?

Das müssten eigentlich die Politiker beantworten, die sie immer im Mund führen. Aber das können sie nicht. Stattdessen deuten sie an, dass es eine europäische Lösung wäre, wenn die EZB noch mehr Geld druckt. Das ist Wunschdenken. Die EZB hat damit ja schon begonnen, hat den Banken billig Geld geliehen, die haben Staatsanleihen von Spanien und Italien gekauft. Und war es eine nachhaltige Lösung? Natürlich nicht. Die sogenannte europäische Lösung ist keine Lösung. Aber es gibt einen Weg, der auch machbar ist.

Wie sieht der aus?

Eine viel stärkere Betonung auf nationalem Level. Natürlich müssen die lokalen Politiker ermuntert werden, Reformen einzuführen. Aber solange die Illusion existiert, dass frisches Geld eine billige Lösung bietet, sind die Anreize dafür zu schwach.

Führt Ihre Lösung Griechenland aus der Eurozone?

Wirtschaftlich muss ich sagen: Griechenland ist kein hoffnungsloser Fall. Es gibt ein Programm, das die griechischen Probleme lösen könnte. Mehr Reformen, Deregulierung, Befreien der Marktkräfte, Privatisierungen. Das haben auch andere Länder gemacht.

Soll Athen raus aus dem Euro?

Nein. Griechenlands Politiker müssen mehr Reformen implementieren. Das ist die beste Lösung für das Land und für die Eurozone. Die Eurozone als solche ist ja nicht in der Krise. Wenn man aber eine gesunde, harte Währung haben will, von der alle profitieren können, müssen alle zu Reformen bereit sein.

Soll Polen dem Euro beitreten?

Im Moment ist ein Beitritt zum Euro in Polen verständlicherweise sehr unpopulär. Außerdem haben wir noch ein zu exzessives Budgetdefizit. Wir sollten erst beitreten, wenn wir so stark sind, dass wir zu den Besten in der Währungsunion gehören. Nur dann kann Polen vom Euro auch wirklich profitieren.

Dabei schaut ganz Europa heute neidisch nach Polen. Kein anderes Land wächst so schnell.

Das stimmt, wir wachsen während andere schrumpfen, die Reformen waren gut und wichtig. Aber es muss mehr gemacht werden, um das Wachstum zu stärken und die Wirtschaft flexibel zu machen. Dann erst haben wir einen guten Boden, um dem Euro beizutreten. Wir wollen nicht unter denselben Konditionen Euromitglied werden wie Griechenland. Wir wollen langfristig etwas davon haben.

Wie ist das Umfeld für weitere Reformen in Polen heute?

Wir hatten keine großen Streiks zuletzt. Aber es gibt überall Populisten, die versuchen, den Markt zu dämonisieren. Trotzdem haben wir in den letzten zwanzig Jahren sehr tiefgreifende Reformen durchgeführt. Ohne sie hätte Polens Wirtschaft nach 2008 nicht wachsen können.

Wie kann man ein ähnliches Verständnis für Reformen in Griechenland herstellen?

Es gibt keine magische Lösung. Wichtig ist: In der Demokratie muss man die öffentliche Meinung mobilisieren. In jeder Demokratie, egal ob in Polen, den USA oder Österreich, gibt es Gruppen, die versuchen den Einfluss des Staates auszudehnen. Sind sie erfolgreich, gibt es mehr Staatsausgaben, mehr Steuern, mehr Regulierung, die Wirtschaft schwächt sich ab. Im schlimmsten Fall kommt es zur Krise. Was ist die Lösung? Man muss ein Gegengewicht in der Zivilgesellschaft bilden. Das ist genau, was ich in Polen mache.

Auf einen Blick

Leszek Balcerowicz wird 1947 im polnischen Lipno geboren. Schon in den 1980er-Jahren erarbeitet der Ökonom einen Plan zur marktwirtschaftlichen Reform der Planwirtschaft im kommunistischen Polen. Nach der Wende wird er Vizepremier und Finanzminister (1989 bis 1991) und verwirklicht diese Ideen. Bekannt wurden die teils schmerzhaften Reformen unter dem Namen Balcerowicz-Plan. 2001 bis 2007 ist der liberale Politiker Präsident der polnischen Nationalbank. Er trotzt den teils heftigen Begehrlichkeiten aus der Politik und macht den polnischen Zloty zu einer stabilen Währung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2012)


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