"Rohstoffspekulanten sind nicht Preistreiber"

(c) EPA (Peter F rster)
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Experten sind uneinig, in welchem Ausmaß Spekulation die Rohstoffpreise treibt. Der Einfluss der Finanzmärkte dürfte überschätzt werden. Auch ein Anstieg der Lebensmittelpreise durch Spekulation stimme nicht.

Wien/Red./Apa. Treibt Spekulation die Rohstoffpreise in lichte Höhen? Experten sind sich da nicht ganz einig: Der Chefökonom der UN-Organisation Unctad, Heiner Flassbeck, sagte am Montag in Wien, der Hochfrequenzhandel per Computer trage einen wesentlichen Anteil an den Preissteigerungen. Eine ebenfalls am Montag vorgestellte Studie, die die WU-Professorin Eva Pichler gemeinsam mit Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts erstellt hat, kommt zu einem gegenteiligen Schluss.

„Systematischer Bruch“

Flassbeck meinte, durch den Hochfrequenzhandel mit Rohstoffen komme es zu einem „systematischen Bruch zischen Angebot und Nachfrage. Das könne man schon daraus ablesen, dass sich die Rohstoffpreise seit Jahren parallel zu den Aktienkursen bewegen, obwohl es da „realwirtschaftlich keinen Zusammenhang“ gebe. Im extremen Hochfrequenzhandel würden nicht mehr Fundamentaldaten von den Rohstoffmärkten preisentscheidend sein, sondern Algorithmen, die sich am Verhalten der anderen Hochfrequenztrader orientieren. 70 bis 80Prozent der Kursbewegungen an den Märkten seien bereits durch dieses Herdenverhalten erklärbar.

Die Studie von WU und Wifo weist dagegen die These, dass Spekulation das Preisniveau erhöht, „signifikant zurück“. Laut der Studie, die sich auf Untersuchungen von Preisbewegungen an der Londoner Metals Exchange in den Jahren 2003 bis 2011 bezieht, sind die Spekulationseinflüsse bei den Bewegungen der Preise für Aluminium, Nickel, Zinn und Zink „insignifikant“. Bei Kupfer gebe es einen leicht preissenkenden Effekt durch Spekulation. Allerdings sei die Volatilität der Kupfer- und Aluminiumpreise deutlich gestiegen.

Laut einer am Wochenende vorgelegten Studie der Universität Halle-Wittenberg ist auch der viel diskutierte Anstieg der Lebensmittelpreise durch Spekulation eher dem Reich der Fabel zuzuweisen. Es spreche „wenig für die Auffassung, dass die Zunahme der Finanzspekulation in den vergangenen Jahren das Niveau der Preise hat ansteigen lassen“, heißt es in der Studie. Statt Barrieren für den Handel mit Nahrungsmittel-Zertifikaten zu fordern, müsse für mehr Transparenz bei der Preisgestaltung gesorgt werden. Die Analyse von 35 Arbeiten zum Thema Agrarspekulation habe „keinen Nachweis“ für einen Zusammenhang zwischen spekulativen Deals und Preissteigerungen ergeben. Insofern sei in Sachen Agrarrohstoffe „der zivilgesellschaftliche Alarm als Fehlalarm einzustufen“.

Fundamentaldaten treiben Preise

Gert Wehinger, Finanzexperte der OECD, sagte, für den Rohstoffmarkt seien vor allem Fundamentaldaten wie etwa Lagerbestände oder Exportbeschränkungen preisbestimmend. Diese Preissignale würden durch die Finanzmärkte allerdings verstärkt werden, meinte Wehinger.

Ein Großteil der mittel- und langfristigen Preisbewegungen sei jedenfalls fundamental zu erklären. Auf den Agrarmärkten würden die Preise unter anderem durch Dürre, Wetterkapriolen und Wechselkursschwankungen beeinflusst. Allerdings müsse man zugeben, dass das Überschießen einzelner Rohstoffpreise in den vergangenen Jahren „pseudofundiert“ gewesen sei. Im Futures-Handel habe sich etwa der Anteil der Spekulanten von 25 auf 75 Prozent erhöht.

Eine „abschließende Antwort“ traut sich der OECD-Experte in Sachen Nahrungsmittelspekulation noch nicht zu: Man benötige noch zusätzliche Daten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2012)

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