Island: Nach dem Zorn die Stille – und das Ende der Gier

(c) Reuters (Bob Strong)
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Dem Kollaps des Finanzsystems im Herbst war eine für das kleine Land ungewohnte Revolte gefolgt. Die Regierung stürzte. Seit Wochen ist es wieder still. Die Isländer wussten, wogegen sie kämpften, aber nicht, wofür.

REYKJAVIK. Bjarnar Hannesson trommelt. Dick vermummt in Pelzmütze und Lederjacke, um Schneetreiben und Wind zu trotzen, schlägt der alte Mann vor der Nationalbank in Reykjavik mit einem Löffel auf eine Pfanne, dass die im Haus Kopfweh kriegen müssen. So soll's sein: „Ich stehe hier und trommle, bis sie abhauen, diese Diebe“, faucht er und zeigt auf die Direktion, in der sich Notenbankchef David Oddsson taub stellt für den Wirbel und für all die Rufe nach seinem Rücktritt.

Hannesson ist ein einsamer Trommler geworden. Vor Wochen waren Tausende hier vor der Nationalbank und vor dem Parlament, und die, die dabei waren, bekommen glänzende Augen, wenn sie von den Tagen der Revolte erzählen. Hördur Torfason, der Barde und Schauspieler, war der erste im Oktober, als Islands Banken krachten und das Land auf den Bankrott zutrieb. Er nahm ein Megafon, stellte sich vor das Parlament, fragte Passanten nach ihren Gefühlen und sagte, dass sie wiederkommen sollten, am Samstag.

Tage der Abrechnung

Sie kamen. Zuerst ein paar hundert, dann einige tausend, dann immer mehr. Sie hießen sich „Stimmen des Volkes“ und verlangten Rechenschaft von den Schuldigen am Schlamassel: Von den Glücksrittern, die Island mit wahnwitzigen Aufkäufen und Spekulationen nach unten rissen, von Politikern und Beamten, die ihre Kontrollpflichten versäumten und sich und allen einredeten, all die Umtriebe seien „gesund“.

Die Rechnung für den Wahn zahlen nun die, die anstehen vor den Baracken der Familienhilfe, wo Altkleider und Lebensmittel an jäh bedürftig Gewordene verteilt werden. Dass manche im Neuwagen vorfahren, um Säcke mit Brot und Zucker zu holen, ist nur auf den ersten Blick paradox. Noch vor einem halben Jahr war Krise ein Fremdwort, die Banken verschenkten Kredite, und viele, die um Essen anstehen, hätten nie geträumt, dass sie nicht mehr für sich sorgen können. Dann explodierten die Schulden. Viele hatten Fremdwährungskredite, weil die Zinsen billiger waren. Nun ist die isländische Krone nur noch einen Bruchteil wert, und was die Schuldner zurückzahlen sollen ist mehr, als ihr Haus oder Auto wert sind.

„Der Hilfsbedarf hat sich vervielfacht“, sagt Solveig Olafsdottir, Sprecherin vom Roten Kreuz, „die Not wird weiter wachsen.“ Schon hat sich die Zahl der Arbeitslosen verfünffacht, bisher betrifft es vor allem Bau und Industrie, bald wird der Dienstleistungssektor folgen. „Früher hatte ich drei Jobs“, sagt Austis Ausvaldsdottir, „tagsüber in einer Fischfabrik, morgens als Putzfrau, abends in einem Café. Jetzt habe ich keinen, und wenn mir mein Sohn nicht helfen würde, wüsste ich nicht weiter.“

„Noch ist für viele die Angst vor der Krise größer als die Krise selbst“, sagt Finanzexperte Benedikt Stefanson, doch das ändert sich: Nun endet für viele, die man im Herbst entließ, die Kündigungsfrist. Dann folgen drei Monate mit 75 Prozent vom Lohn, damit geht's noch. Dann folgt das Arbeitslosengeld, gut 1000 Euro, das ist nichts in Island, bei einer Teuerung von 20%. Die Schulden wachsen mit der Inflation, die Ersparnisse hat der Bankencrash zertrümmert.

„Das Wort Bankraub hat eine neue Bedeutung“, meint Torfason sarkastisch. „Eltern können Kinder nicht zum Sport schicken“, sagt Olafsdottir, „lassen Zahnbehandlungen abbrechen, sparen an Medizin.“ Jeder merke die Krise, „auch ich spüre, dass es härter wird, über die Runden zu kommen“.

Der Tod der hippen Meile

Laugavegur mitten in Reykjavik galt vor Kurzem noch als Europas hippste Einkaufsmeile. „Jetzt ist sie tot“, sagt Sara, die in einem Friseursalon arbeitet. Die Läden mit den Designerwaren bieten 30, 50, 70 Prozent Rabatt, aber Kunden gibt es keine. „Wir verglichen uns mit New York und London“, sagt Sara, „und jetzt mit Simbabwe!“Die Nachrichten melden Sparpläne fürs größte Spital; der Sprecher sagt, dass die Summe, die gespart werden müsse, jener entspricht, die die Clique der Neureichen für ihre Jachten ausgab. „Man wird so wütend“, sagt die Friseurin.

Das ist der Zorn, der vor Wochen die Regierung stürzte; denn als die Neujahrspause des Parlaments endete und sich politisch noch nichts getan hatte, schlugen die Demonstranten neue Töne an. „Ich bat sie, mit Töpfen, Pfannen und Trommeln wiederzukommen“, sagt Torfason. Sie belagerten das „Althing“ und schlugen einen Heidenlärm, der die Volksvertreter nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Bald hatten die Aufrührer obsiegt: Regierung und Finanzaufsicht traten ab, Neuwahlen wurden für April angesetzt.

Und jetzt? „Wenn ich das wüsste“, sagt der Barde. „Was die Menge einte, war die Wut“, sagt Stefanson, ein Initiator der Proteste, „die Menschen wussten, wogegen sie kämpften, aber nicht, wofür.“ Jetzt sammeln die Demos nur noch einen Teil der früheren Scharen. Die Bürgerkomitees, bei deren Treffen sich die Menschen drängten, tagen in halbleeren Sälen. Nach dem Zorn kam die Stille.

Vielleicht will man der neuen Regierung unter der populären Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir eine Chance geben. Oder wissen die Isländer nicht, wohin sie wollen? „Wir hatten eine vorrevolutionäre Bewegung, aber sie gebar keine neuen Führer“, stellt der sozialdemokratische Außenminister Ossur Skarphedisson fest. Pläne zur Bildung neuer Parteien, die das Establishment wegfegen würden, haben sich zerschlagen an innerer Uneinigkeit.

Die Sorge ums tägliche Brot

Soll die EU Islands Rettungsring sein? Oder würde die Aufgabe der Selbstständigkeit mehr schaden? Die Sorge ums Überleben überlagert das politische Engagement. „Wir müssen das System der Verfilzung von Politik und Wirtschaft brechen, sonst war alles umsonst“, warnt Torfason. Doch Island habe sich schon verändert, meint Finanzminister Steingrimur Sigfusson, Chef der Grünen: „Die neoliberale Ideologie der Gier, die das Land im Griff hielt, ist zusammengebrochen, wir wenden uns wieder einem Solidaritätsmodell zu.“

Bjarnar Hannesson jedenfalls wolle nicht ruhen, ehe Notenbankchef Oddsson, für viele das Sinnbild der Krise, aus seinem Palast gejagt ist. So steht er auch am nächsten Tag wieder im Schneeregen vor der Nationalbank und trommelt. Trommelt. Trommelt.

In der Nacht auf Freitag reichte Oddson seinen Abschied ein.

LEXIKON. ISLAND – LEBEN AM RAND DER WELT

Um 860 erreichte Naddoddur, ein norwegischer Wikinger, durch Zufall Island; möglicherweise waren auch schon ein paar Jahrzehnte zuvor einige irische Mönche dort gewesen. Als erster Dauersiedler gilt aber Ingolfur Arnarson, der um 870 aus Norwegen auswanderte.

320.000 Menschen bewohnen die Insel, deren Klima und karge Böden selbst Skandinavier abschreckten. Das lang arme Land erlebte zuletzt durch die Expansion des Bankwesens ins Ausland eine Blüte. 2008 brachte die Finanzkrise Banken und Währung zum Einsturz: Die Armut ist wieder da.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2009)

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