Finanztransaktionssteuer: Valium für die Märkte

Finanztransaktionssteuer Valium fuer Maerkte
Finanztransaktionssteuer Valium fuer Maerkte(c) REUTERS (BRENDAN MCDERMID)
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Treffen soll die Finanztransaktionssteuer vor allem den berüchtigten Hochfrequenzhandel. Doch der Sand im Getriebe der Börsen hätte Tücken: Bezahlen würden die Steuer alle - vor allem durch langsameres Wachstum.

Inmitten von Eichenwäldern, Hügeln und Teichen liegt Mahwah. An klaren Tagen sieht man von dort die Skyline von Manhattan. Die kleine Schlafstadt in New Jersey ist ein friedlicher Ort. Dabei schlägt hier das Herz des Kapitalismus – und es schlägt verdammt schnell. Bits und Bytes liefern sich einen Wettlauf um Milli-, Mikro- und Nanosekunden. Rund um das neue Rechenzentrum der New Yorker Börse haben Aktienhändler ihre Computer eingemietet. Alle hängen sie mit gleich langen Kabeln an dem Großrechner, der Käufer und Verkäufer zusammenbringt. Sieger ist, wer ein Programm hat, das die Marktinformationen um den Flügelschlag einer Biene schneller erfasst, analysiert und mit schlaueren Algorithmen verwertet.

Hochfrequenzhandel heißt dieses Geschäft, bei dem Computer einen Titel kaufen und ihn meist nur wenige Minuten halten. Es geht darum, kleinste Ungleichgewichte bei Angebot und Nachfrage in Gewinne von wenigen Cent umzumünzen. Dass man damit Geld verdienen kann, macht die schiere Menge an Transaktionen. 40 Prozent aller europäischen Börsengeschäfte, schätzt die EU-Kommission, stamme aus dem Hochfrequenzhandel, den es vor ein paar Jahren noch gar nicht gab.

Oft unfair, aber nützlich.
Das klingt gefährlich. Und Brüssel hat das Mittel zur Bekämpfung der „Blitzhändler“ schon parat: eine Richtlinie zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Jene Abgabe also, die Globalisierungsgegner seit Jahrzehnten als Wundermittel gegen einen entfesselten Finanzkapitalismus propagieren. „Die Steuer soll den Hochfrequenzhandel eindämmen“, erklärt Steuerkommissar Algirdas Semeta, und er versichert: „Bürger und Unternehmen wären ausgenommen.“ Befreit sollen die Geschäfte von Banken mit der Zentralbank und privaten Kunden sowie die Erstausgabe von Wertpapieren sein. Ansonsten will Semeta die Steuer breit anwenden, aber den Satz niedrig halten: 0,1 Prozent auf Wertpapiere, 0,01 Prozent auf Derivate. Die Idee dahinter: Millionenfache Trades mit niedrigsten Margen werden zum Verlustgeschäft, der nachhaltige Investor aber bleibt verschont.

Aber ist der Hochfrequenzhandel wirklich ein Übel? Es gibt dort gewisse Strategien, die auch Marktfundamentalisten sauer aufstoßen: Da wird ein technologischer Informationsvorsprung genutzt, um Kurse zu manipulieren und anderen Marktteilnehmern zu schaden. Aber generell hat der Blitzhandel einen ähnlichen Effekt wie das Geschäft der „Market Maker“, jener Börsenprofis, die An- und Verkaufskurse setzen und von der Differenz leben: Beide schaffen Liquidität und marktnahe Preise. Sicher: Wenn die Liquidität dringend gebraucht wird, blasen die Algorithmen der Blitzhändler zum Rückzug. Das war ein kräftiger Verstärker des „Flash Crash“ vom 6. Mai 2010.

Das Trauma „Flash Crash“. Damals stürzte der Dow Jones innerhalb weniger Minuten um 1000 Punkte ab. Eine traumatische Erfahrung, die prohibitive Steuern nahelegt. Allerdings war der Spuk nach 20 Minuten vorüber. Anders als beim „Schwarzen Montag“ 1987: Schon damals verursachten Computer einen Kurssturz. Aber bis sich die Kurse erholt hatten, dauerte es ein ganzes Jahr. Was hat sich inzwischen geändert? Die Finanzmärkte sind leistungsfähiger geworden. Sie bieten mehr Liquidität, mehr Marktteilnehmer, eine bessere Preisfindung. Dafür sorgten Fortschritte in der Informationstechnologie, kleinere Kursschritte – und vor allem die Folge: dramatisch gesunkene Transaktionskosten. In New York sank die Spanne zwischen An- und Verkauf von 1,3 auf 0,1 Prozent. Das ist das Schmiermittel in einem Getriebe, in das die Transaktionssteuer nun Sand streuen soll.

Ihre Apologeten argumentieren mit einem bedrohlichen Anwachsen der Finanzindustrie im Vergleich zur Realwirtschaft. Der „Wert“ aller Transaktionen sei bereits 70 Mal so hoch wie die Weltwirtschaftsleistung. Bei diesen Zahlen aber werden Derivate, die allein für die Aufblähung sorgen, mit einem fiktiven Wert angesetzt, nämlich dem des Basisgeschäfts. Wenn etwa eine Firma einen Kredit zu variablen Zinsen aufnimmt und sich gegen das Risiko steigender Zinsen mit einem Swap absichert, wird als Wert dieses Derivats der gesamte Kredit angesetzt – obwohl die Swap-Partner diese Summe nie in die Hand nehmen. Auch wenn die falsch interpretierte Statistik das Problem gewaltig übertreibt: Die Freunde der Transaktionssteuer sehen in der Finanzkrise den Beweis, dass mehr Aktivitäten zu mehr Volatilität führen.

Empirische Untersuchungen aber zeigen laut einer Überblicksstudie des Internationalen Währungsfonds durchwegs das Gegenteil: Die Volatilität steigt dann, wenn das Treiben der Finanzakteure eingeschränkt wird – etwa durch neue Steuern. Faktum ist auch, dass Unternehmen heute Kosten sparen, indem sie sich durch Derivate absichern: Rohstoffeinkäufe, Fremdwährungsgeschäfte, Zinszahlungen. Jede Transaktionssteuer macht das „Hedging“ teurer, die Mehrkosten müsste meist der Kunde tragen.

Schwerer wiegt die Sorge, dass niedrige Kosten und mehr Derivate zu Blasen führen. Weil für den Derivatehandel weniger Eigenkapital benötigt wird, impliziert sein Wachstum einen größeren Schuldenhebel. Wozu das führen kann, hat das Subprime-Erdbeben vor Augen geführt. Sein Ursprung aber war die Blase im Immobilienmarkt, wo die Transaktionskosten sehr hoch sind. Eine Robin-Hood-Steuer, wie sie die Briten nennen, richtet dort nichts aus. Und für die Steuerung des Derivatehandels gibt es zielgenauere Mittel wie strengere Kapitalanforderungen und Besicherungen.

Wozu wird eine EU-Steuer führen, wenn sie wirklich kommt? Die Kommission geht davon aus, dass der traditionelle Handel mit Aktien und Anleihen um „nur“ zehn Prozent zurückgehen wird. Ob das realistisch ist, hängt von der gesetzlichen Ausgestaltung ab. Die Schweden machten es falsch: Ab 1984 verrechneten sie ein Prozent auf alle Transaktionen, die ein in Schweden registrierter Broker abwickelte. Das führte dazu, dass fast der gesamte Handel das Land verließ.

Ein Nullsummenspiel. Geschickter agieren die Briten mit ihrer „Stempelabgabe“. Wer in Großbritannien gelistete Aktien erwerben und seinen Anspruch rechtlich absichern will, kommt um den „Stempel“ nicht herum. Er kostet ein halbes Prozent des Kaufpreises, beschert dem Fiskus jährlich drei Mrd. Pfund und hat an der Bedeutung der City of London nichts geändert – auch wenn die Börse überzeugt ist, dass die Steuer Wachstum kostet.

Die EU will freilich weiter gehen – und erwartet selbst dramatische Folgen: 70 bis 90 Prozent des Derivategeschäfts und des Hochfrequenzhandels würden ausgelöscht oder auf Marktplätze außerhalb der EU verlagert. Das sei freilich „positiv“, weil es sich ja um „schädliche Aktivitäten“ handle. In London schrillen die Alarmglocken. Wenn die britische Regierung bei ihrem strikten Nein zu den Plänen aus Brüssel bleibt, könnte nur Kontinentaleuropa die Steuer einführen – mit starken Abflüssen nach London.

Dass man die „schädlichen Aktivitäten“ ohne schädliche Folgen eliminieren kann und der „Bürger“ ungeschoren bleibt, glaubt man aber offenbar nicht einmal in Brüssel: Um 1,8 Prozent würde die Steuer die Wirtschaftsleistung in der EU auf Dauer drücken, verrät die hauseigene Wirkungsstudie. Aber weil die EU die Einnahmen – erwartet werden 57 Mrd. Euro – für „wachstumsfördernde Maßnahmen“ einsetzen will, hofft man, die lästige Nebenwirkung auf ein halbes Prozentpunkt des BIPs drücken zu können.

Das lässt eine grobe Rechnung zu: Das BIP der EU beträgt 12,5 Billionen Euro. Ein halbes Prozent fehlendes Wachstum sind 63 Mrd. Bei etwa 60 Prozent Gesamtsteuerbelastung entgehen den öffentlichen Händen 38 Mrd. – zwei Drittel des Betrags, den die Steuer einbringen soll. Wenn es nicht ganz optimal läuft, ist die „Robin Hood Tax“ ein Nullsummenspiel. Und die EU-Bürger müssen mit weniger Wachstum und mehr Arbeitslosen leben.

Das hätte sich Robin Hood, der vom Sherwood Forest aus den Reichen nahm und den Armen gab, wohl auch anders vorgestellt. Aber seine selbst ernannten Nachfolger sind in Europa ihrem ersehnten Ziel näher denn je. Dann könnten sie in eine Weltgegend weiterziehen, in die sich die Geschäfte verlagern. Etwa in die Eichenwälder von Mahwah, um von dort aus die Rechner der Wall Street zu stürmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2011)

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