Verheugen: "Deutschland ist Hauptnutznießer der Krise"

European Industry Commissioner Guenter Verheugen attends the European Business Summit in Brussels
European Industry Commissioner Guenter Verheugen attends the European Business Summit in Brussels(c) REUTERS (Stringer/belgium)
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Der frühere Vizepräsident der EU-Kommission warnt vor der "Spekulation mit vergifteten Wertpapieren". In der Abstufung europäischer Staaten durch die Ratingagentur Standard & Poor's sieht er einen "Nebenkriegsschauplatz".

Auch wenn es zuletzt große Aufregung um die Abstufung europäischer Staaten durch die Ratingagentur Standard & Poor's gegeben hat - der frühere Vizepräsident der EU-Kommission, Günter Verheugen sieht darin nur einen "Nebenkriegsschauplatz". In Wahrheit gehe es um den Kampf zwischen Sanierung durch Sparen, wie es die EU probiert, und Sanierung durch Anreize für Investition und Wachstum, wie es das angloamerikanische System vorsieht. Eine Entscheidung zwischen den beiden Wegen gab Verheugen bei seiner Rede vor dem "Senat der Wirtschaft" in Wien, nicht vor.

Fest stehe allerdings, dass die Sanierung nicht allein über Exporte erreicht werden könne. Denn, die Exportüberschüsse, auf die Deutschland und Österreich so stolz seien, "sind die Defizite der anderen, deren Probleme fallen auf uns zurück". Auch sieht er die Stabilisierungsversuche als gescheitert an: "Die weltweite Spekulation mit vergifteten Wertpapieren geht weiter". Der neue EU-Vertrag von Lissabon "hat möglicherweise mehr Probleme geschaffen als gelöst", die hochgelobten G-20 sei wirkungslos geblieben.

"Deutschland verdient an der Krise"

Weiters betont Verheugen:  "Deutschland ist der absolute Hauptnutznießer der Krise." Das Land verdiene "an dieser Krise und zwar nicht zu knapp." Dabei müsse die derzeitige Regierung Schritt für Schritt Verteidigungslinien aufgeben, die unter dem früheren Kanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel aufgebaut wurden. Es hätte keine Haftung für andere EU-Staaten geben sollen, nun gebe es sie. Die EZB kaufe Staatspapiere, "damit existiert die Unabhängigkeit der EZB nur mehr auf dem Papier". Deutschland habe sich immer gegen eine Wirtschaftsregierung für Europa gewehrt, spätestens mit dem Fiskalpakt, der Ende des Monats beschlossen werden soll, komme man dieser näher.

"Ich glaube, dass wir noch nicht auf dem Gipfelpunkt der Krise angekommen sind", so Verheugen, diese sei aber auch nicht mit dem Zusammenbruch der Bank Lehman "vom Himmel gefallen", sondern sei Folge einer "langen Entwicklung schwerer politischer Fehler". Insbesondere habe man in der EU nur auf die laufende Neuverschuldung gestarrt, aber die Gesamtverschuldung und die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit zu wenig beachtet.

Steuern auf "multipolare" Machtverteilung zu

Dennoch habe er Bedenken "bei 'Vereinigten Staaten von Europa'. Das entspricht nicht der europäischen Tradition." Dabei sieht Verheugen die Welt auf eine "multipolare" Machtverteilung zugehen, die Kompetenzen werden in "Peking, Delhi, Brasilia, Washington" liegen und da müsse sich Europa entscheiden: "Reden wir mit? Entscheiden die anderen über uns oder entscheiden wir selber?" Für ihn ist klar, kein Nationalstaat in Europa "kann die Interessen seiner Bürger angemessen vertreten", im neuen Machtgefüge könne nur ein politisch geeintes Europa mitreden.

Verheugen bleibt aber optimistisch, dass die EU einen Ausweg finden wird. "Wir haben schon viele Krisen erlebt in Europa. Ich kenne das ja gar nicht anders." Letztlich werde Europa zu Wachstum zurückfinden. Und man dürfe nicht vergessen: "Wir haben niemanden, der raus will und viele die reinwollen." Bei allen Problemen habe es Europa geschafft, eine funktionierende Solidargemeinschaft auf die Beine zu stellen - sonst sei das noch nirgendwo gelungen.

(APA)

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