Vermögensverwaltung aus dem Netz

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Auf Wikifolio.com treffen sich Händler und Anleger in einem sozialen Netzwerk. Jeder kann dort sein Portfolio veröffentlichen und um das Geld anderer Nutzer werben.

Wien. Wer sich bei seiner Bank in Sachen Geldanlage beraten lässt, bekommt seit Jahren den gleichen Mix aus Investmentfonds, Anleihen und anderen Finanzprodukten vorgesetzt. Die meisten Institute waren so sehr mit diversen Krisen beschäftigt, dass für Innovation keine Zeit blieb. Doch die Not der Anleger ist groß. Wenn sie sich in Sicherheit wiegen wollen, müssen sie dafür reale Verluste in Kauf nehmen.

„Ich habe lange Zeit meine Finanzen vernachlässigt“, erzählt Andreas Kern. „Als ich dann in die Bank ging, war ich schockiert, was mir für Produkte angeboten wurden.“ Kern sah die riesige Lücke, die sich ihm bot, und gründete das Unternehmen Wikifolio.com. Seine Idee: Mithilfe eines sozialen Netzwerks will er Anleger und Menschen mit guten Anlage-Ideen zusammenbringen. Seit Anfang des Monats macht er ernst: Der Probebetrieb ist zu Ende, ab jetzt geht es um echtes Geld.

Ab 100 Euro Geld anlegen

Schon der Name verrät, dass sich der Wiener Gründer an dem Onlinelexikon Wikipedia orientiert. Jeder Nutzer kann ein Musterportfolio zusammenstellen und veröffentlichen. Ist er erfolgreich, werden andere Nutzer auf ihn aufmerksam und können ihr Geld in seinem „Wikifolio“ anlegen. Händler werden kann jeder, formale Voraussetzungen gibt es (außer Volljährigkeit) nicht. Kern und sein Team prüfen einzig, ob die beschriebene Strategie sich auch in den Trades widerspiegelt. Einmal gewählt, kann die Strategie auch nicht mehr ohne Weiteres geändert werden.

Investieren kann man schon ab 100 Euro. „Wir wissen, dass wir erst einmal Vertrauen schaffen müssen“, sagt Kern. „Deswegen fangen wir mit kleinen Beträgen an.“ Mittelfristig sieht er in seiner Internetseite aber ein Produkt für die breite Masse. „Die Leute haben genug vom Status quo. Sie brauchen neue Anlagemöglichkeiten.“

Formal handelt es sich bei einem Wikifolio um ein Zertifikat mit eigener ISIN-Kennung, das über das Emissionshaus Lang& Schwarz herausgegeben wird. Das bedeutet: Anleger tragen (anders als bei Investmentfonds) ein Gegenparteirisiko. Würde Lang& Schwarz pleitegehen, stünden die Chancen schlecht, das Geld wiederzusehen. Früher wurden solche Risken kaum ernst genommen. Die Lehman-Pleite des Jahres 2008 hat jedoch gezeigt, dass alles möglich ist.

Gratis gibt es die soziale Vermögensverwaltung nicht. Einerseits gibt es eine Zertifikategebühr von 0,95 Prozent der veranlagten Summe, die jährlich fällig wird. Die Händler verdienen ihr Geld, indem sie einen Teil des Anlagegewinns einbehalten. Wie viel sie mitschneiden, können sie selbst bestimmen, Wikifolio erlaubt Quoten zwischen fünf und 30 Prozent. Im Schnitt werden etwa zehn Prozent verlangt. Dazu kommen noch die Gebühren des Onlinebrokers oder der Bank, über die man das Wikifolio-Zertifikat erwirbt.

Vorsicht bei der Hitliste

Ein Blick auf die Seite zeigt: Das Angebot an Anlagestrategien ist breit gefächert. Für Zocker gibt es Portfolios, die ihr Geld mit „Daytrading“, also extrem kurzfristigen Geschäften, verdienen. Für konventionellere Anleger gibt es Portfolios, die zum Beispiel in dividendenstarke Konsumaktien investieren. Was genau sich im Depot befindet, kann jederzeit auf der Seite eingesehen werden. Die Gründer versprechen ein Höchstmaß an Transparenz.

Welches Wikifolio sich lohnt, können Nutzer über eine Performance-Hitliste überprüfen. Verbraucherschützer kritisieren, dass primär spekulative Portfolios prominent platziert werden. Anleger könnten animiert werden, ihr Geld in das jeweils beste, aber meist riskante Portfolio umzuschichten. [i-Stockphoto, Fabian Eibensteiner]

Was Sie beachten sollten bei... Investments auf Wikifolio.com

Tipp 1

Rangliste.Wikifolios mit einer ansehnlichen Performance werden auf einer Hitliste weit oben gereiht. Davon sollte man sich aber nicht verführen lassen. So gewann in der zweimonatigen Testphase ein Portfolio, das einzig in griechische Aktien investierte. Mehr Risiko geht fast nicht. Wer auf stabile Wertentwicklung aus ist, sollte sich eher im Mittelfeld der Tabelle umsehen.

Tipp 2

Funktionsweise. Wenn ein Wikifolio von der Community genug Stimmen erhält und von der „Redaktion“ freigeschaltet wird, erhält es eine sogenannte ISIN-Wertpapiernummer. Mit dieser kann über Onlinebroker wie brokerjet.at oder direktanlage.at ein Zertifikat erworben werden, das die Wertentwicklung des Wikifolios nachvollzieht. Herausgegeben wird das Papier von Lang & Schwarz.

Tipp 3

Kosten. Die Basisgebühr für das Zertifikat beträgt 0,95 Prozent der veranlagten Summe pro Jahr. Diese Gebühr wird täglich errechnet. Dazu kommt eine Gewinnbeteiligung, die die Vermögensverwalter und Wikifolio unter sich aufteilen. Diese kann sich unterscheiden: Wikifolio erlaubt Quoten zwischen fünf und 30Prozent. Bei einem Verlust wird keine Gebühr fällig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2012)

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