Heiko Thieme: Der Optimist wird vorsichtig

Heiko Thieme Optimist wird
Heiko Thieme Optimist wird(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Der Aktienexperte Heiko Thieme ist Anlegern vor allem als Daueroptimist bekannt. Für das kommende Börsenjahr rät der streitbare Wahl-New-Yorker jedoch zur Vorsicht.

Der deutsche Finanzexperte Heiko Thieme verfügt über das, was man wohl eine bewegte Vergangenheit nennt. In deutschen Medien vor allem als „Börsenguru“ bekannt, schrieb er lange Zeit regelmäßig Gastkommentare in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und veröffentlichte in einigen anderen Publikationen. Auch als Gastredner war Thieme gefragt – und ist es nach wie vor. Als Vermögensverwalter wurde er mehrfach ausgezeichnet: Einmal als schlechtester (1995), ein anderes Mal als bester Fondsmanager (1997) des Jahres.

Eines hat sich Thieme über die Jahre bewahrt: den unbeirrbaren Glauben an sich selbst. „Ich stehe zu meinen Schieflagen“, sagt er der „Presse am Sonntag“, als er Anfang dieser Woche in New York darauf wartet, dass der Wirbelsturm „Sandy“ vorüberzieht und die Börsen wieder öffnen. „Aber alles in allem liegt meine Treffsicherheit bei über 75 Prozent.“ Und es sei ja bekannt, was der legendäre Investor André Kostolany einmal gesagt hat: „Ein erfolgreicher Börsianer liegt in zumindest 51 Prozent der Fälle richtig.“


Jahrzehntelange Erfahrung. In seinen 40 Jahren Berufserfahrung habe er die Finanzwelt aus allen Blickwinkeln kennengelernt, erzählt er: „Ich habe mit der Analyse angefangen, war dann im Marketing, dann im Aktienhandel bei der Deutschen Bank in New York und habe schließlich meine eigene Fondsverwaltung gegründet.“ Mit dieser Erfahrung im Rücken verfliegt sogar die Angst vor der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise. „Im Grunde ist alles schon mal da gewesen, nur mit anderen Vorzeichen.“

Nur der Börsenhandel, der sei viel schneller geworden. Und wegen der immer stärkeren Kursschwankungen könne man Aktien auch nicht mehr einfach im Depot schlummern lassen: „Auch ein langfristiger Anlagehorizont erfordert kurzfristige Reaktionen.“

Anfang des Jahres prognostizierte Thieme dem Dow Jones, der damals bei rund 12.200 Punkten lag, für 2012 einen Sprung über die 13.000er-Marke, aber keine neuen Rekordstände. Bislang liegt er damit genau richtig. Für das kommende Jahr ist der Experte jedoch weniger optimistisch. „2013 wird nicht so rosig werden wie 2012. Jede Hausse hat mal ein Ende.“ Seit 2009 seien die Börsen schon um 100 Prozent geklettert, womit sie den durchschnittlichen Anstieg ähnlicher Booms schon hinter sich gebracht hätten.

Die Welt stehe vor großen Herausforderungen. „Wenn man sich die ganzen Probleme einmal anschaut, stellt man sich schon die Frage, ob es nicht langsam mal reicht“, sagt Thieme. „Einem Optimisten wie mir fällt es nicht leicht, das zu sagen, aber: Ich wäre nicht überrascht, wenn der Dow Jones die Marke von 11.000 Punkten noch einmal unterschreitet.“

Wenn er heuer in Wien beim Wertpapierforum auftritt, werde er seinen Zuhörern also nicht uneingeschränkt zu Aktien raten. „Letztes Jahr habe ich die Leute noch ermutigt, Aktien zu kaufen. Allein mit der Commerzbank hätte man in ein paar Monaten 80 Prozent verdienen können. So eine Rede wird man dieses Jahr nicht hören.“

Apple-Pessimismus. Ernsthafte Alternativen zu Aktien mag aber auch Thieme nicht erkennen. Deswegen empfiehlt er fleißig weiter, zum Beispiel Papiere aus dem Technologiesektor. „Natürlich gibt es auch dort Gewinner und Verlierer.“ Zu Letzteren gehören seiner Meinung nach Facebook und Apple, zumindest auf lange Sicht. „Ich glaube nicht, dass man in 20 Jahren noch von denen redet.“ Gefragt blieben dagegen „Handlanger“ wie der Chiphersteller Intel (ISIN: US4581401001).

Andere interessante Sektoren seien Pharma und Finanzen. So gibt Thieme etwa den mutigen Tipp ab, die Aktie der Citigroup (US1729674242) zu kaufen. Immerhin ist das Papier seit Mitte 2007 um 93 Prozent gefallen. Wer jetzt einsteige, könne jedoch gutes Geld verdienen. Auch die Bank of America (US0605051046) hält Thieme für interessant. „Das alles aber unter dem Vorbehalt, dass das nächste Jahr nicht so rosig wird.“

Große Investmententscheidungen muss der 69-Jährige heute nicht mehr treffen. Die Fonds seiner eigenen Kapitalanlagegesellschaft American Heritage Management sind seit Längerem geschlossen. „Wegen der immer komplizierteren Regularien“, erklärt Thieme. Jetzt arbeite er eher an „Strategien“ sowie an der Beratung anderer Investoren – und natürlich an der Verwaltung seines eigenen Vermögens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2012)

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